Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters
Raketenstationierung wenige Kilometer vor der US-Küste akzeptabel sei. Da zum gleichen Zeitpunkt aber bereits seit 1959 amerikanische Raketen mit vergleichbarer Reichweite im NATO-Mitglied-staat Türkei an der sowjetischen Grenze aufgebaut waren und sowjetische ICBM ohnehin bereits amerikanisches Territorium er- a 0 reichen konnten, kann man andererseits davon ausgehen, daß es bei diesem Konflikt eigentlich weniger um die Bedrohung durch Atomwaffen als wiederum eher um eine grundsätzliche Frage des Kalten Krieges ging. Wichtiger waren Annahmen über Prestigegewinn und -verlust mit ihren globalen Auswirkungen auf Einflußgebiete und die eigene Sicherheit. 48 Am Ende, als die sowjetischen Raketen von Kuba abgezogen wurden, erschien der zuvor häufig eher als unerfahren geltende US-Präsident Kennedy den meisten Zeitgenossen als der klare Gewinner. Doch auch Chruschtschow konnte schließlich noch Punkte sammeln. Ob der durch den so-20 wjetischen Druck in Kuba erreichte geheime Abzug der fünfzehn amerikanischen Jupiter-Raketen aus der Türkei ohne die vorherige Stationierung von sowjetischen Raketen auf Kuba stattgefunden hätte, erscheint zumindest fraglich. Die öffentliche Meinung, die in diesem Konflikt so viel zählte, registrierte letzteres allerdings viel später. Erst sechs Jahre nach dem Abzug wurde sie informiert.
Die im Westen Kuba-, im Ostblock Karibische und auf Kuba Oktoberkrise genannte dramatische Zuspitzung des Kalten Krieges entwickelte sich ab 1961 parallel zur Verschärfung der Situation in Berlin und Vietnam. Auch für Kuba traf die für die US-Position auf dem amerikanischen Doppelkontinent zentrale Monroe-Dok-trin in vollem Umfang zu. Kuba wurde als traditionelles US-Ein-flußgebiet betrachtet, in dem jeder feindliche Einfluß zu unterbinden war. Bis zum 1.Januar 1959, als die Revolution Fidel Castros das Regime des korrupten, aber US-freundlichen Diktators Fulgencio Batista y Zaldivar hinwegfegte, war Kuba jeweils nur kurzfristig als Krisengebiet in Erscheinung getreten. Amerikani-
sehe Interventionen fanden 1898 und 1914 statt. Bezeichnender- A weise erfolgte bereits der Eingriff 1914, um ein Übergreifen der mexikanischen Revolution auf die Insel zu verhindern. Von der Intervention 1898 blieb den USA jene Militärbasis erhalten, die der Öffentlichkeit dann vor allem nach dem Kalten Krieg bekannt wurde. Innerhalb von Castros Staat, mit dem sich die USA über Jahrzehnte in einem Quasi-Kriegszustand befanden, blieb ein exterritoriales, von den Amerikanern kontrolliertes Gebiet mit dem Namen Guantänamo Bay (Bahia de Guantdnamo) besetzt. Es war 1903 zunächst per Leihvertrag von der kubanischen Führung ab-getreten worden. Trotz kubanischer Rückgabeforderungen und schließlich vollständiger Isolierung vom Rest der Insel im Jahr 1960 gelang es den USA, diesen Bereich mittels Minenfeldern und autonomer Versorgung weiterzubetreiben und sogar als Ausgangspunkt für Verdeckte Operationen gegen Castro zu nutzen. Bekannt wurde Guantänamo Bay nach dem Kalten Krieg vor allem als ein außerhalb der zivilen Gerichtsbarkeit und teilweise auch völlig außerhalb des US-Rechts stehendes Lager für sogenannte ungesetzliche Kombattanten aus dem nach den Anschlägen auf das World Trade Center im September 2001 proklamierten «Krieg gegen «O den Terror». 49
Kennedys anfängliche Sympathie für die Revolution auf Kuba war bereits im Wahlkampf 1960 einer heftigen Anti-Castro-Rheto-rik gewichen. In seiner Regierungserklärung am 30. Januar 1961 hieß es, der ursprünglich positive Freiheitskampf sei mittlerweile durch Kommunisten unterwandert. Moskau ziele auf die Einrichtung eines Stützpunkts vor der amerikanischen Küste. In einem späteren Interview, das Kennedy im Oktober 1963 einem Journalisten des britischen Observer gewährte und das man erst nach seinem Tod veröffentlichte, wurde noch sichtbarer, wie gravierend sich der Präsident von der neuen Regierung auf Kuba hintergangen fühlte. Castro habe sein Versprechen gebrochen und sei ein Agent der Sowjets in Lateinamerika geworden. 50 Allgemein war es mit den Sympathien der amerikanischen Politik wohl spätestens in dem Moment vorbei, als sich Castro anschickte, Wirtschafts- und Bodenreformpläne nach sozialistischem Muster umzusetzen. Von diesen waren wiederum auch US-Firmen betroffen. Warum Castro sich überhaupt den Sowjets annäherte, blieb umstritten. Möglicherweise betrachtete er es als die einzige Chance, sich an der
Macht zu halten. Nach
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