Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters
«Die Lage in Europa» schrieb der britische Premier am 12. Mai 1945 an Truman, «beunruhigt mich zutiefst. [...] Ich habe mich stets um die Freundschaft der Russen bemüht; aber ihre falsche Auslegung der Jalta-Beschlüsse, ihre Haltung gegen Polen, ihr überwältigender Einfluß auf dem Balkan bis hinunter nach Griechenland, [...] die von ihnen inspirierte kommunistische Taktik in so vielen anderen Ländern und vor allem ihre Fähigkeit, lange Zeit große Armeen im Felde stehen zu lassen, beunruhigen mich ebenso sehr wie Sie. [...] Ein Eiserner Vorhang ist vor ihrer Front niedergegangen. Was dahinter vorgeht, wissen wir nicht. Es ist kaum zu bezweifeln, daß der gesamte Raum östlich der Linie Lübeck-Triest-Korfu schon binnen kurzem in ihrer Hand sein wird. [...] Die Aufmerksamkeit unserer Völker aber wird sich mit der Bestrafung Deutschlands, das ohnehin ruiniert und ohnmächtig darnieder liegt, beschäftigen, so daß die Russen, falls es ihnen beliebt, innerhalb sehr kurzer Zeit bis an die Küsten der Nordsee und des Atlantik vormarschieren können.» 35 Churchills weitere Äußerungen in diesem Zusammenhang zeigen darüber hinaus, daß er keinesfalls nur an Europa dachte, sondern global. In einem kurz zuvor ebenfalls an Truman gerichteten Telegramm betonte er ausdrücklich, man müsse diese «Fragen unter den Hauptmächten als Ganzes» diskutieren. 36
Daß 1944/45 eine geographisch-politische Teilung der Welt im Gespräch war, machten auch andere deutlich. In einem Brief an Charles Bohlen - später US-Botschafter in Moskau - dachte auch George Kennan kurz vor der Konferenz in Jalta laut darüber nach, ob es nicht viel sinnvoller sei, Europa offen in Einflußsphären aufzuteilen - «wobei wir uns aus der russischen Sphäre und die Russen sich aus unserer heraushalten». Man müßte dann allerdings Ost- und Südosteuropa abschreiben, die endgültige Teilung Deutschlands akzeptieren und eine westeuropäische Föderation unter Einschluß der westlichen Hälfte Deutschlands bilden. 37 Auf sowjetischer Seite hatte Stalin seine geopolitischen Interessen in dem im Mai 1945 geführten Gespräch mit Harry Hopkins, insbesondere in bezug auf Polen, deutlich gemacht. Für Rußland sei es «von lebenswichtigem Interesse, daß Polen sowohl stark als auch freundschaftlich eingestellt sei», um zukünftige deutsche Invasionen abzuhalten. 38 Stalin dachte an eine Sicherheitslinie, eine «ge-ostrategische Magistrale». 39 Wo diese Linie verlief, zeigte sich erst in der Praxis der Besatzungspolitik, das heißt, im Grad der politischen «Gleichschaltung» und Sowjetisierung. Polen stand außerhalb jeder Diskussion und war für Stalin so entscheidend, daß er dafür auch den Konflikt mit London und Washington riskierte. Finnland war das genaue Gegenteil. 40 Hier genügte es Stalin, daß das Land, welches immerhin ab 1941 im Bündnis mit Deutschland den Krieg gegen die Sowjetunion mitgetragen hatte, seine Zuverlässigkeit zusicherte. Finnland durfte eine eigenständige Regierung und sogar ein demokratisches System westlicher Prägung einrichten. In der Nachsichtigkeit Stalins spielte allerdings nicht zuletzt eine Rolle, daß er hier eine Sowjetisierung schlicht für unmöglich hielt. Die finnischen Kommunisten, die sich im sowje-tisch-finnischen «Winterkrieg» 1939 klar gegen ihn gestellt hatten, waren einfach zu unzuverlässig.
Entsprechend wenig wurde auch Österreich in die unmittelbare sowjetische Sicherheitszone einbezogen. Der 1938 immerhin unter großer öffentlicher Zustimmung an das Deutsche Reich angeschlossene Alpenstaat wurde, als er im Juli 1945 unter Viermächtekontrolle geteilt wurde, von Stalin nur als peripherer Rand des eigenen Machtbereichs betrachtet, der neutralisiert und von Deutschland getrennt keine Gefährdung der sowjetischen Sicherheit bedeute. 41 Auch dabei spielten wieder Stalins persönliche Ansichten die wichtigste Rolle. Hier war es vor allem das Vertrauen in den ersten sozialdemokratischen Staatskanzler und späteren Bundespräsidenten Karl Renner. Dieser hatte sich nicht nur bereits am
3. April 1945 den Sowjets freiwillig zum Regierungsaufbau zur Verfügung gestellt, sondern erwies sich auch als unkompliziert in der Zusammenarbeit mit den Kommunisten. Im ersten provisorischen Kabinett wurden ihnen allein drei Ministerien zugestanden. Selbst nachdem die KPÖ bei den österreichischen Wahlen im November 1945 gegenüber der konservativen Österreichischen Volkspartei (85 Mandate) und den
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