Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters
stießen. Im Juni/Juli 1986 beschloß der X. Parteitag der Kommunistischen Partei Polens (PZPR) sogar eine umfassende politische Amnestie. Wenig später bestellte Jaruzelski einen überparteilichen Beraterstab - den sogenannten Konsultativrat -, dem auch Mitglieder der politischen Opposition angehörten. Allerdings lag hier wohl eher der Versuch zugrunde, den politischen Gegner zu vereinnahmen. Vor der in den Augen der Bevölkerung wichtigsten Änderung schreckte die polnische Regierung jedoch zunächst zurück. Die Gewerkschaft Solidarnosc', die bis 1982 auf zehn Millionen Mitglieder angewachsen war, blieb zunächst verboten. Ausdrücklich hatte Jaruzelski sich bei der Verhängung des Kriegsrechts auf sie bezogen und vor ihren «Umsturzplänen» gewarnt. Daß beides - erfolgreiche ökonomische Veränderungen und freie Gewerkschaften - indes eng miteinander verzahnt waren, zeigte die 1987 durchgeführte Volksabstimmung über die Wirtschaftsreformen. Obwohl Solidarnosc noch nicht legalisiert war, konnte die Gewerkschaft erfolgreich zum Boykott der Befragung und zur Einleitung von Reformen nach sowjetischem Vorbild aufrufen. Es folgten weitere, teilweise mit Gewalt niedergeschlagene Streiks, die vor allem das Jahr 1988 bestimmten.
Seit Anfang 1989 kündigte sich während der Gespräche zwischen Regierung und Opposition am «Runden Tisch» eine politische Entspannung an. In ihrem Abschlußkommunique vereinbarten die Teilnehmer, 32 Vertreter der Regierung und 25 Angehörige der Opposition, einen Stufenplan zur Umsetzung der demokratischen Reformen. Diese erfolgreiche Verhandlungsform wurde später auch in anderen Staaten übernommen. Die «halbfreien» Parlamentswahlen in Polen im Juni 1989 leiteten dann, wie vereinbart, auch die lange geforderten wirtschaftlich-politischen Reformen ein. Ihr Ergebnis war eine Sensation. Von den 161 frei wählbaren Sitzen im Sejm errang Solidarnosc alle. Auch in Polen konnte sich die Kommunistische Partei als abgewählt betrachten, wie Jaruzelski schließlich einräumte. Er selbst erreichte im Juli 1989 nur noch mit einer Stimme Mehrheit die Staatspräsidentschaft. Ministerpräsident wurde der Solidarnos'c-Berater Tadeusz Mazowieclci, der damit der erste nichtkommunistische Regierungschef im Ostblock war. Am 30. Dezember 1989 erklärte sich Polen feierlich zur demokratischen Republik. Die Volksrepublik Polen als Teil des sowjetischen Satellitengürtels hatte aufgehört zu bestehen. Wenige Tage später, am 28.Januar 1990, löste sich die Kommunistische Partei Polens auf. Im Dezember 1990 schließlich wurde der ehemalige Führer der Solidarnosc, Lech Wal^sa, zum ersten frei gewählten Staatspräsidenten Polens.
Die Dynamik des Umbruchs erfaßte schließlich alle Staaten des Ostblocks. In Bulgarien und der Tschechoslowakei versuchten die orthodoxen Führungen der Kommunistischen Parteien zunächst durch vorbildhafte Nachahmung der sowjetischen Ideen der befürchteten großen Veränderung entgegenzusteuern. Todor Schiw-kow hatte seit 1954 Bulgarien regiert und alle Wandlungen der sowjetischen Politik im Kalten Krieg souverän gemeistert und überlebt. Auch auf Gorbatschow reagierte er taktisch, als er 1987 eine eigene verkürzte Version der Perestroika entwickelte, die Preu- strojstwo. 11 Sie sparte allerdings heikle Themen bewußt aus. Weitergehenden Reformen trat Schiwkow bis 1989 rigoros entgegen, was sich vor allem auch in der massiven Unterdrückung jeder Art von Opposition manifestierte. Nicht nur mißliebige Zeitungsredakteure bekamen regelmäßig den Zorn des Partei- und Staatschefs zu spüren, sondern auch Demonstranten. Der Umweltschutz war eines der neuen Themen, die mit den KSZE-Verhandlungen auch nach Bulgarien gekommen waren und auf der Straße gefordert wurden. Offiziell fand dies allerdings kaum Gehör. Nicht ohne Grund tagte deshalb die KSZE-Umweltkonferenz im Oktober und November 1989 in der bulgarischen Hauptstadt Sofia. Obwohl Schiwkow versuchte, jeden Anschein eines Konflikts mit Moskau zu vermeiden, war es ein offenes Geheimnis, daß das Verhältnis zur UdSSR unter Gorbatschow einen Tiefpunkt erreichte. Das lag nicht allein an den Scheinreformen der Preustrojstwo. Besonders massiv reagierten die Sowjets auf die von der Regierung in Sofia forcierte Bulgarisierung der türkischen Minderheit, die mit nationalistischen Kampagnen einherging und schließlich sogar in großangelegte Vertreibungen mündete. Für Beobachter war klar, daß auch Schiwkow den Nationalismus
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