Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters
UdSSR bestellte Generalsekretär gewesen war. Nur ein Jahr später starb am 10. März 1985 auch dessen Nachfolger Konstantin Tschernenko. Tschernenkos
Nachfolge trat dann ein im Vergleich mit seinen Vorgängern geradezu jugendlicher Generalsekretär an: der 1931 geborene Michail Gorbatschow.
Nach den als Periode der Lähmung empfundenen Jahren wurde die Wahl Gorbatschows im Frühjahr 1985 nicht nur in der Sowjetunion und im Ostblock, sondern auch im Westen als Neuanfang gesehen. Sowohl Andropow als auch Tschernenlco hatten zwar die innen- und außenpolitischen Probleme der Sowjetunion erkannt. Tatsächlich wollte wahrscheinlich bereits Andropow Veränderungen durchsetzen, die das Land vor allem technologisch wieder konkurrenzfähig machen sollten. Unter anderem ging er mit teils drakonischen Maßnahmen gegen die verbreitete Korruption vor. In Andropows Regierungszeit fielen auch einige symbolische Gesten neuer Offenheit. So veröffentlichte die Prawda nun die Tagesordnung des Politbüros, und der Generalsekretär bemühte sich ausdrücklich um mehr Kontakt zu den Bürgern. Tschernenlco leitete in seiner kurzen Amtszeit immerhin noch eine Bildungsreform ein. Der Umbau der Sowjetgesellschaft und die Forderung nach mehr «Offenheit» waren damit bereits vor Gorbatschow in der Debatte. Außenpolitisch jedoch hielten beide, die aktiv noch am Zweiten Weltkrieg teilgenommen hatten, an den Gegebenheiten fest. Keiner von ihnen war bereit, sowjetische Positionen in der Welt aufzugeben, obwohl diese die finanziellen Möglichkeiten seit langem überschritten.
Gorbatschow, den noch Andropow als seinen Nachfolger ausgewählt hatte, war der erste Generalsekretär der Nachkriegszeit, der den Zweiten Weltkrieg nicht als Soldat oder Partisan miterlebt hatte. Ideologisch war er durch die Abrechnung Chruschtschows mit dem Stalinismus geprägt worden. Seine politische Karriere hatte er in der Jugendorganisation Komsomol begonnen. Die schwere Erkrankung Tschernenkos, die diesen schließlich daran hinderte, die Politbürositzungen selbst zu leiten, machte es dann möglich, Gorbatschow als Vertretung zu nominieren. Führend waren hier die Anhänger des verstorbenen Andropow. In den letzten Monaten Tschernenkos leitete Gorbatschow bereits faktisch die Regierungsgeschäfte. Seine besondere Sozialisation war es wohl, die Gorbatschow unvoreingenommener an die Reform auch der Außenpolitik gehen ließ, in der schließlich selbst der Rückzug aus außenpolitischen Positionen als Erfolg verkauft werden konnte.
Innenpolitisch führte er jenen Weg fort, den seine beiden Vorgänger begonnen hatten. Dies machte Gorbatschows Antrittsrede 1985, insbesondere aber seine berühmte Ansprache auf dem XXVII. Parteitag 1986 deutlich. Hier verkündete er das, was als das «Neue Denken» bezeichnet wurde: eine grundsätzliche «Umgestaltung» (Perestroika) der sowjetischen Politik sowie eine neue «Offenheit» und «Transparenz» (Glasnost). Inhaltlich war es der erneute Versuch, den kommunistischen Staat von innen zu reformieren, ohne ihn aufs Spiel zu setzen.
In der Außenpolitik bot Gorbatschow dem Westen sogleich einen Beweis für das «Neue Denken». Einen Tag nach seinem Amtsantritt wurden am 12. März 1985 nicht nur überraschend die Rü-stungskontrollgespräche wieder aufgenommen, sondern auch die lange umstrittene Frage der Mittelstreckenraketen in die START-Verhandlungen einbezogen. Auch ansonsten kam Gorbatschow westlichen Forderungen nach. Im Dezember 1986 hob er die vom Westen nachdrücklich und wiederholt angeprangerte Verbannung Andrej Sacharows auf, der im Januar 1980, unter anderem wegen seiner Kritik am Afghanistan-Einmarsch, in Gorki isoliert worden war. Auch andere Dissidenten wurden freigelassen. Innenpolitisch war der Preis für die UdSSR allerdings erheblich, wie sich später zeigte. Gerade Regimekritiker wie Sacharow und andere Radikalreformer gaben sich ganz und gar nicht mit den von Gorbatschow avisierten Änderungen zufrieden. Daß er zwar das Tableau der Möglichkeiten einer demokratischen Zivilgesellschaft aufzeigte, es aber nicht bis zur letzten Konsequenz verwirklichen wollte, erwies sich als der Sprengstoff, der die Sowjetunion schließlich in die Auflösung zwang.
Zunächst aber war es der Westen, der über seinen eigenen Schatten springen mußte. Wie aktuell die traditionellen Feindbilder des Kalten Krieges auch dort waren, demonstrierte 1986 ein Interview der US-Zeitschrift Newsweek mit dem westdeutschen Bundeskanzler
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