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Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters

Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters

Titel: Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Stöver
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aller zur Verfügung stehenden Nuklearwaffen drohe. Dies nahmen sowohl die 1950 vom NATO-Rat unter dem Eindruck des Koreakriegs verabschiedete sogenannte Vorwärtsstrategie (Forward Strategy, MC 14/1) als auch die 1954/57 beschlossene «Strategie der Massiven Vergeltung» (Massive Retaliation, MC 14/2) auf. Seit dem erfolgreichen sowjetischen Atomtest und dem nach 1949 prinzipiell absehbaren und in den sechziger Jahren dann erreichten atomaren Patt war zudem klar, daß der eigene totale Einsatz von Nuklearwaffen zwangsläufig auch den umfassenden Gegenschlag und damit die eigene Vernichtung zur Folge haben würde. Robert McNamara prägte als US-Verteidigungsminister in den sechziger Jahren den Begriff der gegenseitig gesicherten völligen Vernichtung (Mutual(ly) Assured Destruction), wofür sich ironischerweise das doppeldeutige Kürzel «MAD» einbürgerte. Die Strategie der Massiven Vergeltung, das zu einer Zeit noch begrenzter nuklearer Potentiale entwickelt worden war, stieß an die Grenze ihrer eigenen Logik. Kritiker hatten schon zuvor bemängelt, daß sie eigentlich die Drohung mit dem Selbstmord sei. Doch es gab auch Gegenstimmen. Der Futurologe Herman Kahn rechnete den Amerikanern 1960 in seiner Studie On Thermonuclear War vor, daß die Vorstellung, unter keinen Umständen den atomaren Konflikt zu führen, genau das Gegenteil von dem bewirken könne, was beabsichtigt sei, weil sie die erwünschte Abschreckung hinfällig mache und zu politischer Er-preßbarkeit führe. Man müsse bereit sein, auch den Nuklearkrieg zu führen. 25 Tatsächlich wurden vor allem in den sechziger Jahren Bunkeranlagen im großen Stil gebaut. Inhaltlich wechselten die USA und mit ihr die NATO allerdings erst 1967 zu einer «Strategie der Flexiblen Antwort» (Flexible Response, MC 143/3), die bis zum Ende des Kalten Krieges ihre Gültigkeit behielt. Sie sah keine Automatik eines massiven Atomwaffeneinsatzes bei einem Angriff der Gegenseite mehr vor, sondern behielt sich die Option offen, entweder dosiert oder umfassend, nuklear oder konventionell zu reagieren. In den folgenden Jahren variierte man die Vorstellungen weiter. Unterhalb der Schwelle zum globalen Atomkrieg ( Central Nuclear War, CNW) war die Doktrin der sogenannten begrenzten nuklearen Operationen (Countervailing Strategy) angelegt. Sie wurde am 17.Januar 1974 in einem Memorandum des amerikanischen Nationalen Sicherheitsrats empfohlen und sechs Jahre später in einer noch von US-Präsident Carter paraphierten Präsidentendirektive (PD 59) festgeschrieben. Hintergrund blieb nach wie vor die Sorge, ob die eigene Strategie glaubwürdig gehalten werden könne. Für solche begrenzten Nuklearkriege boten sich die neuentwickelten «kleinen» Mittel- und Kurzstreckenraketen, aber auch die in ihrer Hitze- und Druckwirkung begrenzte «Neutronenbombe» an. Die Fortsetzung fanden diese Überlegungen in der 1982 in Kraft gesetzten operativ-taktischen Konzeption Air-Land-Battle (ALB). Sie galt für die Gefechtsführung von Großverbänden unterhalb der Korpsebene und beinhaltete wiederum vor allem die massiv und schnell geführte Gegenoffensive, die sogar weit ins gegnerische Gebiet führen sollte. Ab 1984 wurden diese Überlegungen auch in die vom NATO-Verteidi-gungsausschuß verabschiedete Planungsrichtlinie zur Bekämpfung der folgenden Angriffswellen (Follow-On-Forces Attack, FOFA) aufgenommen. 26
    Die sowjetische Seite stand vor den gleichen Herausforderungen und den gleichen Grenzen des militärischen Engagements. 27 Der Unterschied lag, außer in der Tatsache, daß in der UdSSR selbstverständlich auch das Militär der Parteilinie der KPdSU unterstand, vor allem in der größeren Kontinuität der militärischen Dogmen. Sie blieben im Kalten Krieg bis weit in die achtziger Jahre dieselben. Entsprechend gravierend waren dann die Änderungen, die der neue Generalsekretär der KPdSU, Michail Gorbatschow, im Mai 1987 der Roten Armee verordnete.
    Am Anfang der Strategieplanungen für den Kalten Krieg stand hier die 1946 von Stalin ausdrücklich und öffentlich bekräftigte traditionelle These Lenins, daß Kriege mit dem Kapitalismus unvermeidlich seien. Zehn Jahre später hatte Chruschtschow diese Vorstellung mit der Strategie der Friedlichen Koexistenz variiert und in das Parteiprogramm der KPdSU aufnehmen lassen. Der Begriff blieb immer mißverständlich, denn zumindest in der Dritten Welt sollte der nach wie vor als unvermeidlich verstandene Konflikt mit dem Kapitalismus auch

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