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Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters

Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters

Titel: Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Stöver
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militärisch ausgefochten werden können. Einen ausdrücklichen Befehl, Strategien für den Nuklearkrieg zu entwickeln, erteilte Stalin erst 1951. Auch hier lag zumindest theoretisch ein Präventivkrieg im Rahmen des Möglichen, wie auch die elf Jahre später unter dem Namen des sowjetischen Marschalls Wassili Sokolowski erschienene kollektive Abhandlung über die sowjetische Militär-Strategie deutlich machte. 28 Daß das Trauma des deutschen Angriffs 1941 die Überlegungen kontinuierlich beherrschte, zeigten nicht nur Stalins Äußerungen oder Chruschtschows berühmte öffentliche Erklärung am 14. Januar 1960 vor dem Obersten Sowjet. Darüber hinaus beeinflußte es die Debatten bis in die achtziger Jahre, in denen noch einmal konzentriert vor allem die antideutschen Vorbehalte und «Revanche»-Vorwürfe die Propaganda bestimmten. 29 Der massive Einsatz von Nuklearwaffen stand auch hier nicht in Frage. Der globale Atomkrieg sei die strategische Option, so hatte Chruschtschow 1960 ausgeführt, die es erlaube, «das Land oder die Länder, die uns überfallen (...] buchstäblich dem Erdboden gleich[zu]machen». 30 Erst unter Breschnew wurde eine Doppelstrategie zur offiziellen Formel, die bis in die ersten Jahre der Regierung Gorbatschow gültig blieb: Obwohl der Nuklearkrieg von der Sowjetunion nicht geführt werden solle, könne man niemals sicher sein, daß er nicht vom Westen aufgezwungen werde. Wenn er notwendig sei, müsse er geführt werden - dann möglicherweise auch als Präventivkrieg. Unter Gorbatschow wurde das Umdenken verordnet: Nicht Vorbereitung auf den kommenden Krieg, sondern Verhinderung der militärischen Auseinandersetzung sei nun die Doktrin der Sowjetunion, verkündete der neue Generalsekretär 1986 auf einem Treffen der Warschauer-Palct-Staaten in Budapest. 31 Ein Jahr später ging diese Formel auch offiziell in die militärischen Leitlinien der Roten Armee ein.
    In den USA lag der erste Entwurf für einen möglichen Krieg mit der Sowjetunion im Dezember 1945 vor. 32 Er war von Truman wenige Monate zuvor angefordert worden. Die durch die US-Luft-waffe ausgearbeitete Operation Totality QIC 329/1) sah bei einem sowjetischen Überraschungsangriff den Abwurf von bis zu dreißig Atombomben auf zwanzig sowjetische Städte vor, um Zeit für die Mobilisierung der eigenen konventionellen Streitkräfte zu erhalten. Weitere Studien wurden danach regelmäßig durch die Vereinigten Stabschefs ausgearbeitet, wobei sie in der Regel von einem sowjetischen Angriff und einem entsprechenden westlichen Gegenschlag ausgingen. 33 Zu diesen Konzepten zählten unter anderem die Pläne mit den Bezeichnungen Pincher, Broiler, Bushwacker und Frolic, die zwischen Juni 1946 und Mai 1948 entstanden. Alle sahen vor dem Hintergrund des amerikanischen Nuklearwaffenmonopols den nach damaligen Maßstäben umfassenden Einsatz von Atombomben vor. Die im März 1948 vorgelegte Studie Broiler ist im Rückblick nicht nur deshalb besonders aufschlußreich, weil sie am Beginn der Ersten Berlinkrise entstand und für den Fall einer Eskalation sogar den präventiven Atomkrieg (First Strike) gegen die Sowjetunion vorsah - 34 Atombomben auf 24 sowjetische Städte. Darüber hinaus war der Bestand an Nuklearwaffen damals zum ersten Mal so weit angewachsen, daß man solche Pläne im Zweifelsfall auch umsetzen konnte.
    Mit der ebenfalls noch während der Ersten Berlinkrise begonnenen Planung Sizzle, die unter wechselnden Namen (Fleetwood, Half-moon, Doublestar) bis Dezember 1948 fertiggestellt wurde, befanden sich die USA zum ersten Mal weit im Bereich nuklearer Überkapazitäten. Die 133 Atombomben, die man für den Einsatz über zwanzig sowjetischen Städten vorsah, waren zu diesem Zeitpunkt nur ein Fünftel der verfügbaren Reserven. Die weiteren US-Entwürfe für den Nuklearkrieg gingen dann regelmäßig von einer massiven Erweiterung der strategischen Ziele aus. Im Dezember 1960, mitten in der Zweiten Berlinkrise, katalogisierte der Operationsplan SIOP-62 exakt 3423 Atombombenziele, vierzehn Jahre später listete SIOP-5 rund 25 000 Ziele auf. SIOP-5D aus dem Jahr 1980 ging dann sogar von rund 40 000 Zielen für Nuklearangriffe auf feindlichem Territorium aus. 34
    Wie ein Dritter Weltkrieg aller Wahrscheinlichkeit nach verlaufen werde, hatte bereits die US-Studie Halfmoon 1948 vorgerechnet. Man ging davon aus, daß die Sowjetunion versuchen werde, Westeuropa vollständig zu besetzen, den Mittleren Osten mit den Ölfördergebieten unter

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