Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters
Kontrolle zu bringen sowie den amerikanischen Kontinent mittels Luftangriffen und subversiver Maßnahmen verteidigungsunfähig zu machen. Angesichts der angenommenen Überlegenheit der sowjetischen Seite sollte die westliche Reaktion sich zunächst darauf beschränken, den amerikanischen Doppelkontinent zu verteidigen und gleichzeitig einen umfassenden Luftkrieg gegen die Sowjetunion zu führen. 1948 veranschlagte man dafür 220 Atombomben, die in den ersten drei Monaten auf 104 sowjetische Städte abzuwerfen waren. In den darauffolgenden Monaten des Krieges, so die Planer, sollten dann 72 weitere Städte nuklear zerstört werden. Erst im zweiten Jahr des Konflikts könne der Westen in der Lage sein, die Ölfördergebiete und dann auch das bis nach Spanien geräumte Mittel- und Westeuropa wieder zu erobern. Auch die Folgestudie Offtackle ging 1949 von diesem Szenario aus, machte aber darüber hinaus zum ersten Mal genauere Angaben, auf welche Weise eine demokratische Nachkriegsordnung nach dem siegreich beendeten Atomkrieg aufzubauen sei.
Den klarsten Einblick in die amerikanischen Planungen für einen letztendlich immer total geführten Nuklearkrieg mit der Sowjetunion einschließlich der militärischen Besetzung sowjetischen und osteuropäischen Territoriums zeigte der Plan Dropshot. Ende 1949 entstanden, konnte in die Überlegungen bereits eingearbeitet werden, daß die Sowjetunion im Besitz der Atombombe war. Ansonsten ging Dropshot ebenfalls davon aus, daß die UdSSR einen Krieg beginnen werde, um die Welt zu beherrschen. 35 Auch diesmal entsprachen die angenommenen vier Phasen eines global geführten Krieges den vorherigen Annahmen: eigener Rückzug mit massiven konventionellen und nuklearen Luftangriffen auf die UdSSR, Verminung feindlicher Häfen, Seeblockaden und Halten einer Linie zwischen dem Rhein im Westen und den Alpen im Süden Europas, schließlich Rückeroberung und Sieg über den Ostblock.
Die bekanntgewordenen sowjetischen Planungen für den Nuklearkrieg, die Stalin 1951 anforderte, fielen zeitlich mit seiner Anweisung zusammen, die Rüstungsanstrengungen noch einmal zu steigern und gleichzeitig eine Institution zu schaffen, die die gemeinsame Verteidigung koordinieren konnte. Aus dieser Neuordnung ging 1955 schließlich der Warschauer Pakt hervor. Ausdrücklich hatte Stalin die Vorbereitung auf den Luftkrieg eingefordert. Dazu gehörte nicht nur die Entwicklung von Strategischen Bombern, sondern vor allem auch die Luftabwehr. Im Sommer 1952 war Marschall Zhigarev von Stalin persönlich damit beauftragt worden, eine neue Strategische Bomberflotte aufzubauen, die in der Lage sein sollte, die USA mit Nuklearwaffen anzugreifen. 36 Aufgrund der zunächst zu geringen Reichweiten der ersten Bomber- und Raketengenerationen waren daher noch unter Stalin Ende der vierziger Jahre Pläne entwickelt worden, US-Militärbasen in Alaska oder auf Grönland zu erobern. Die Vorbereitungen dazu erhielten 1948 den Namen «Projekt 621», wurden aber 1953 nach Stalins Tod gestoppt. Sowjetische Stützpunkte gab es seit 1952 unter anderem in Dikson an der Karasee und auf der Insel Shmidta in der Tschuktschensee. Von hier aus flogen in den fünfziger Jahren modifizierte Tu-4-Bomber Aufklärungsmissionen bis zu den amerikanischen Basen auf Grönland und in Kanada.
Einen aufschlußreichen Einblick in die Planungen des Ostblocks für einen Nuklearkrieg mit dem Westen bietet der erst im Jahr 2000 freigegebene «Operationsplan der tschechoslowakischen Armee für den Kriegsfall» vom Oktober 1964. 37 Er war die nationale Umsetzung einer Gesamtplanung des Warschauer Paktes und berücksichtigte in erster Linie die Belange der CSSR. Im Vergleich zu den westlichen Konzepten zeigte sie vor allem eine auffallende Parallelität in der Bedrohungswahrnehmung, aber auch in der militärischen Planung: Ausgegangen wurde, wie im Westen, von einem massiven Aufeinandertreffen der gegnerischen Panzerarmeen mit dem Einsatz von Atomwaffen sowie dem zeitweiligen Verlust eigenen Territoriums. Für eine folgende weitere Phase ging man davon aus, daß es den eigenen Kräften gelingen werde, binnen neun Tagen das französische Lyon zu erreichen -eine Einschätzung, die sich mit den westlichen Befürchtungen deckte. Dabei ging man allein an diesem Frontabschnitt davon aus, 119 Nuklearsprengsätze einzusetzen. Auch die aus den späten siebziger und den achtziger Jahren erhaltenen Manöverplanungen des Warschauer Paktes, wie Wafferibrüderschaft-80,
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