Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters

Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters

Titel: Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Stöver
Vom Netzwerk:
Orte um Tscheljabinsk umgesiedelt, teilweise unter Wasser gesetzt. Als einzige radioaktiv hochbelastete Siedlung blieb das tatarische Muslimowa (Muslyumovo) erhalten, möglicherweise um Langzeitbeobachtungen für Spätfolgen durchzuführen.
    Der Umgang mit radioaktiven Stoffen auf den sowjetischen Test-geländen von Semipalatinsk oder Nowaja Semlja oder auf den amerikanischen Proving Grounds von Yucca- oder Frenchman Flat war vergleichbar. Militärischer und ziviler Kernwaffenschutz war allerdings in den USA früher ein Thema als in der Sowjetunion. Ausgerechnet im Juni 1950, als der Koreakrieg begann, erschien in den Vereinigten Staaten bereits das erste offizielle, für die amerikanische Öffentlichkeit bestimmte Handbuch über die Wirkung von und den Schutz vor Atomwaffen. Verfaßt von Wissenschaftlern aus Los Alamos und anderen Einrichtungen, war The Effects of Atomic Weapons für einen Dollar und 25 Cents für jedermann erhältlich. Der Band wurde danach wiederholt neu aufgelegt und neuen Entwicklungen angepaßt. 29 Spätere Auflagen, für drei Dollar, machten mit einem Farbphoto der ersten H-Bomben-Explosion auf Eniwetok vom 1. November 1952 auf. Die nach der massenhaften Einführung von Interkontinentalraketen auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs grundlegend revidierte und stark erweiterte Auflage vom April 1962 enthielt dann für einen Dollar Mehrpreis auch einen «Nuclear Bomb Effects Computer» in Form eines einfach bedienbaren runden Rechenschiebers. Mit ihm konnte jeder für sich ermitteln, in welcher Entfernung er sich noch vom Ground Zero aufhalten durfte, um zu überleben. 30 Aus der Größe des Feuerballs konnte man damit im Zweifelsfall auch berechnen, wie viele Megatonnen gerade eingeschlagen hatten: ein Durchmesser von 3,4 Meilen verwies auf die Sprengkraft von einer Megatonne, 9,4 Meilen auf eine Detonation von zwanzig Megatonnen.
    Die Veröffentlichungen standen durch ihre nicht unumstrittene Offenheit im Gegensatz zu Büchern, die nur wenige Jahre zuvor panische Ängste ausgelöst hatten. David Bradley, einer der medizinischen Berater bei den Atombombenversuchen der Operation Crossroads auf Bikini 1946, hatte 1948 einen Band mit dem Titel No Place to Hide auf den Markt gebracht. Das Buch, das in Auszügen zum Beispiel auch in westdeutschen Zeitungen veröffentlicht wurde, betonte die absolute Schutzlosigkeit - es gebe für niemanden und nirgends ein Entrinnen. Dem Erfolg des Bandes versuchten die amerikanischen Behörden damals mit Zivilschutzbroschüren in Millionenauflage und einer atemberaubenden Verharmlosung der Gefährdung entgegenzuwirken. Die 1950 veröffentlichte erste Serie von offiziellen Broschüren mit dem Titel Survival under Atomic Attack empfahl einfachste Schutzmaßnahmen. Später folgten Kinderfilme wie Duck and Cover, in dem «Bert, die Schildkröte» demonstrierte, daß eine Schulbank einen akzeptablen Schutz bei einem atomaren Angriff biete. 31 Solche Veröffentlichungen gab es auch in anderen westlichen Staaten. In der Bundesrepublik produzierte das Bundesamt für den Zivilschutz 1961 die Broschüre Jeder hat eine Chance, deren einfältiger Inhalt sogar zu einer offiziellen Anfrage im Deutschen Bundestag führte.

    wie im kino Beobachter des Tests Able der Operation Crossroads betrachten am 1. Juli 1946 vom Deckchair aus die Explosion der Atombombe «Gilda» im Bikini-Atoll. Der Name der Bombe war aus dem gleichnamigen, gerade aktuellen Rita-Hayworth-Film entliehen, in dem diese wieder einmal den männermordenden Vamp spielte.
    In ähnlicher Weise blieben auch die Soldaten systematisch im unklaren. Rund 195 000 amerikanische Gis waren zum Beispiel in die verstrahlten Gebiete von Hiroshima und Nagasaki geschickt worden, ohne daß sie über die möglichen Folgen informiert worden waren. Bereits 1946 war es in den USA zudem üblich, Soldaten nahe an die Nuklearexplosionen zu führen, damit sie sich an diesen Anblick gewöhnten. An der Operation Crossroads im Bikini-Atoll waren insgesamt 46 000 Gis beteiligt, die mit Schiffen an den Ground Zero herangefahren wurden. Bei ihnen fanden sich nach einer 1985 durchgeführten Studie erhöhte Raten an Leukämie und Prostatakrebs, die jedoch nicht mehr zweifelsfrei auf die Teilnahme an Atomtests zurückgeführt werden konnten. «Ich war gerade siebzehn», sagte ein 1984 an Krebs verstorbener ehemaliger Matrose kurz vor seinem Tod aus, «und keiner von uns hatte die leiseste Ahnung, was ein Geigerzähler oder was Strahlung ist, das

Weitere Kostenlose Bücher