Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der kalte Kuss des Todes

Der kalte Kuss des Todes

Titel: Der kalte Kuss des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanowa
Vom Netzwerk:
dem eine Frau die Schläge des Schicksals abwehrte.
    »Oje, hat der mich vielleicht zugelabert, dieser Papa Ragneau!« Lisa kam herangerauscht wie eine Jacht unter vollen Segeln. Wie immer war sie ganz in Schwarz. »Das war der Vertreter der Kosmetikfirma. Er hat mir ein Interview für unsere Zeitschrift gegeben. Weißt du, was der alte Molch gesagt hat? Nirgends auf der Welt hätte er so viele schöne Frauen gesehen wie in Russland.«
    »Ein Franzose?« Katja lächelte Lisa ein wenig gezwungen an.
    »Schweizer. Lebt in Genf. Drei Kinder, Enkel, Ehefrau. Aber er ist ganz vernarrt in die Russinnen. Er sagt, sie hätten so geheimnisvolle Augen.«
    »Manchmal sind unsere Geheimnisse gar nicht so schwer zu enträtseln. Für einen Ausländer allerdings schon . . .« Katja senkte den Blick, hob ihn dann wieder und sah Lisa in die Augen. Eine Russin kann drei Sprachen sprechen, sich schick anziehen – vorausgesetzt, ihre Mittel erlauben es – , kann Voltaire und Dante im Original lesen und dabei aller Welt geheimnisvolle Augen machen. Aber ihr wahres Geheimnis besteht darin, dass sie jeden Abend von ihrem betrunkenen Mann oder ihrem sadistischen Liebhaber verprügelt wird.
    »Was wolltest du mir sagen?«, fragte Lisa. »Am besten gehen wir nach dort drüben, wo niemand uns stört.«
    Sie wandte sich an einen Abteilungsleiter, flüsterte mit ihm und unterstrich ihre Bitte mit einem charmanten Lächeln. Der Abteilungsleiter rief eine der Verkäuferinnen, von der Lisa und Katja an Ständen und Vitrinen vorbei in einen Nebenraum geführt wurden. Sie stiegen eine Marmortreppe hinunter. In der engen, mit Plastikpaneelen verschalten und mit Schachteln voll gestopften Kammer, in der es nicht einmal Stühle gab, erzählte Katja Lisa alles, ohne etwas zu verheimlichen. Sie errötete, verhaspelte sich, stotterte, aber sie führte ihre traurige Geschichte ehrlich und mutig bis zum Ende.
    »Warum hast du mir nicht sofort gesagt, dass Stepan dir gefällt?«, fragte Lisa.
    »Ich hab’s ja selber nicht begriffen. Das heißt. . . ich hab’s schon begriffen, aber. . . Er hat mir eigentlich gar nicht gefallen, eher im Gegenteil. Es war mehr eine Art Sinnesverwirrung. Aber darauf kommt es jetzt gar nicht an; zwischen uns ist nichts gewesen. Aber er hat sich so wild aufgeführt wie ein Tier. Und Dmitri hat ihn in meinem Beisein einen Verrückten genannt. Er strahlt irgendetwas aus . . . etwas Unnormales, Animalisches. . .« Katja suchte nach den richtigen Worten, fand sie aber nicht. »Wenn du gesehen hättest, wie er die Zigeunerin geschlagen hat! Mit welchem Genuss!«
    »Einmal habe ich so etwas auch gesehen, am Kiewer Bahnhof«, sagte Lisa. »In der dortigen Grünanlage hatten Zigeuner ihr Lager aufgeschlagen. Eine von euren Spezialeinheiten kam angebraust – OMON, glaube ich. Riesige Muskelpakete in Tarnanzügen. Die Zigeuner, die sich weigerten, in den Bus der OMON-Leute zu steigen, wurden verprügelt. Allerdings wurden sie nicht mit Füßen getreten – man hat Gummiknüppel benutzt.«
    »Die OMON gehört nicht zu unseren Leuten, Lisa.«
    »Ach, was macht das für einen Unterschied! Ich meinte damit nur, es sind eben Männer. Damit ist schon alles gesagt.« Lisa lächelte schief; dann warf sie einen verstohlenen Blick zur Tür, knöpfte rasch ihr Kleid auf und entblößte Schultern und Rücken. Ihre matt schimmernde Haut war über und über mit purpurnen und gelben Blutergüssen bedeckt. Längs der Wirbelsäule verliefen drei tiefe Schrammen.
    »Sieh dir das an, Katja. Aber sind wir deshalb besser als die Männer? Sie sind Tiere, aber wir sind Waschlappen!« Lisa schloss ihr Kleid wieder und richtete sich gerade auf. »Jedes Mal nach solchen . . . Gastgeschenken bin ich die Wand hochgegangen, wollte ihn nicht mehr sehen. Aus, vorbei, habe ich mir geschworen. Soll er in der Hölle schmoren, ich lasse ihn nie mehr über die Schwelle! Aber dann ruft er an, bittet um Verzeihung, kommt angefahren, fällt auf die Knie, und ich bin Wachs in seinen Händen. Und er weiß das ganz genau! Auch dich würde er kleinkriegen, wenn er wollte. Das ist ein Talent, das Gott ihm geschenkt hat: sich die Menschen zu unterwerfen. Besonders die Frauen . . .«
    »Weshalb schlägt er dich so, Lisa?«
    »Weshalb hat er dich geschlagen? Ich habe dir doch von unserer Hochzeit erzählt. Bestimmt hast du gedacht, ich will ihn nur aus Berechnung heiraten, um mich in diese Familie zu drängen, und dass ich mir deshalb alles von ihm gefallen lasse. Ja, das hast du

Weitere Kostenlose Bücher