Der kalte Kuss des Todes
Erneut wischte Lisa sich die Tränen ab, die aus ihren geschminkten Augen tropften. »Ich dachte, vielleicht behandelt er mich so, weil ich ihm nichts bedeute . . . weil ich nur eine Geliebte für eine Stunde bin. Deswegen wollte ich ja auch heiraten. Aber dann wurde mir plötzlich klar, warum er mir einen Heiratsantrag gemacht hat. Weil eine andere ihn zum Teufel geschickt hätte und auf diese Art von Bärenhochzeit nicht eingegangen wäre. Es ist bequem, so eine Ehefrau zu haben. Dann braucht man keine Prostituierte zu bezahlen. Die nehmen für Perversionen den dreifachen Preis.«
»Lisa, bitte, sprich nicht so«, sagte Katja flehend.
»Du wolltest doch die ganze Wahrheit hören! Meinst du, es wäre mir schmerzlich, darüber zu reden? Nein. Kein bisschen. › Der Bär entführt eine Frau! ‹ Ha! › Was Merimée verschwieg! ‹ Stepan hat mich tausendmal gezwungen zu sagen, wie sehr ich diesen verfluchten Bären begehre, wie sehr ich ihn liebe . . . Man gewöhnt sich schnell an solche Erniedrigungen. Das ist wie eine Droge. Natürlich nicht die Schläge, aber dieses ganze Spiel. Es ist auch irgendwie erregend. . . Stepan tobt, wenn du ihm widersprichst. . . wenn du nicht tun willst, was er will. Aber wenn du dich fügst, ist er ein Mann wie vom Himmel geschickt. Wenn du ihn gehabt hast, willst du nie wieder einen anderen.«
»Er wollte, dass du in ihm einen Bären siehst? Und dass du diesen Bären liebst? Das ist doch wahnsinnig! Weiß Dmitri von diesen . . . Absonderlichkeiten?«
»Natürlich. Sie sind schließlich Zwillingsbrüder. Sie haben keine Geheimnisse voreinander. Tja, nun habe ich es dir gesagt. Dmitri hat offensichtlich ein Auge auf dich geworfen, also sieh dich vor. Oder glaubst du, er ist anders als Stepan?« Lisa seufzte. »Nein, sie sind Kinder derselben Mutter, aus demselben Schoß gekrochen. Vielleicht sind Dmitris Fantasien sogar noch krasser als Stepans, nur fällt es ihm schwerer, sie in die Wirklichkeit umzusetzen.«
»Warum?«
»Weil er Geld mehr liebt als alles andere. Und für solche Perversionen braucht man eine Menge Geld. Stepan hat mich früher mit Geschenken bestochen. Und ich habe mich noch gefreut – was für ein großzügiger Mann, mit so viel Geld. Aber Dmitri ist berechnend wie ein Bankcomputer.«
»Lisa, eins musst du mir noch sagen.« Wieder war Katja unsicher. Sollte sie der Freundin von den seltsamen Morden in Rasdolsk erzählen oder besser nicht? Sie beschloss, mit etwas anderem zu beginnen. »Was wolltest du mir vorhin am Telefon über Wladimir Basarow sagen? Ich habe es nicht verstanden.«
»Macht nichts. Ich weiß es selbst nicht mehr.« Lisas Stimme zitterte: Eine gute Lügnerin war sie nicht.
»Lisa, das ist sehr wichtig. Ich sagte › Ich habe den Verdachts und da hast du sofort nach seinem Vater gefragt. Warum?«
»Nun ja, ihr seid doch damals zu dritt zur Miliz gefahren. Darüber weißt du mehr als ich. Es scheint also wohl kein Unfall gewesen zu sein.«
»Unsere Leute – die Miliz, meine ich – sind zu dem Schluss gekommen, dass Wladimir Basarow Selbstmord begangen hat. Er hatte Krebs, war unheilbar krank . . .«
»Ja, ja. Aber er war ein sehr starker Mensch. Stepan und Dmitri haben das von ihm geerbt – die Charakterstärke. Ein tapferer Mann war er. Er trug die Krankheit schon in sich, aber kein Außenstehender hat auch nur davon geahnt. . .«
»Selbst starke Menschen können zerbrechen«, warf Katja ein. »Für jede Widerstandskraft gibt es eine Grenze. Er nahm doch bereits schmerzstillende Tabletten. Bald hätte er Spritzen bekommen müssen.«
»Vielleicht, aber. . . Ist es sicher, dass es Selbstmord war, Katja?«
»Das haben die gerichtsmedizinischen und daktyloskopischen Gutachten ergeben. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass jemand anders . . . also, dass er es nicht selbst getan hat. Auch die Zwillinge sind davon überzeugt. Dmitri ist der Meinung, dass Stepans Zustand sich aus diesem Grund so sehr verschlechtert hat, dass man ihn für sein Tun nicht mehr verantwortlich machen kann.«
»Ich habe Stepan gesehen, Katja. An dem fraglichen Abend. Er ist gleich nach dem Abendessen nach Otradnoje gegangen. Mir hat er gesagt, er komme in der Nacht zurück, aber er kam nicht wieder. Als Wladimir Kirillowitsch im Bad war, ist Stepan für kurze Zeit zu ihm hineingegangen. Ich habe es selbst gesehen. Es ist mir erst später wieder eingefallen.«
»Hast du ihn gefragt, was er dort getan hat?«
Lisa machte ein merkwürdiges Gesicht; dann
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