Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum
hinteren Bereich des Flugfeldes erreicht, wo die Farbe wechselte, von grün zu creme, auch die Bestimmung, hier standen Fahrzeuge des Roten Kreuzes der DDR . Vor einem altertümlich wirkenden Laster in der Farbe heller palačinke mit der Aufschrift »Ambulanz« in derselben Farbe auf schwarzem Grund hielten sie und stiegen aus.
»Der W50 vom Industrieverband Fahrzeugbau«, sagte Michel im leiernden Verkäuferton, »ein Klassiker unter den DDR -Lkws seit den Sechzigern, wurde in Dutzende Länder exportiert, sogar in Nicaragua und Angola hab ich welche gesehen; die bringen dich, wohin du willst.«
Thomas legte dem Gefährt die Hand auf den Leib, umkreiste es langsam, die Finger glitten über den kühlen Lack. Die Fahrerkabine kam ihm sanftmütig vor mit ihren abgerundeten Kanten, den beiden runden Scheinwerfern unten rechts und links, der Kühlergrill hatte breite senkrechte Zahnlücken. Die Windschutzscheibe um zwei Handbreit zurückgesetzt, die kleinen Türen hoch über ihm … In seiner Vorstellung wurde die Beifahrertür aufgestoßen, Jelena sprang lachend in seine Arme und rief, na, dann zeig mir die Adria, mein Sonnenschein, und den Velebit und Plitvice, aber lass mich die ersten tausend Kilometer fahren.
Er ging weiter.
Hinter der Kabine thronte der kantige, rechteckige Koffer mit zwei quadratischen Fensterchen je Seite, dahinter weiße Stores. Oberer und unterer Saum des Koffers waren schwarz lackiert, auch dort stand noch einmal »Ambulanz«. Eine doppelte Hecktür führte hinein, er öffnete sie. Die Inneneinrichtung war bis auf zwei schmale Bänke entlang der Seiten herausmontiert worden, viel Platz für Waffen und Munition.
»Tarnmaterial bekommst du mit … dem Rest «, murmelte Michel, der zu ihm getreten war.
»Was für Tarnmaterial?«
»Mullbinden und Verband. Gab es im Sonderangebot.« Er hob die Hand, bewegte die Finger. »Dietrich.«
Der Soldat streckte sich, Knochen krachten, Muskeln weiteten den Tarnstoff. Er stieg ins Führerhaus, er würde den Palačinke auslösen, während Michel und Thomas mit dem Trabant Kübel zum Eingang zurückkehrten, in den Jeep stiegen, in einer Tankstelle nahe dem »anderen Wald« die Transaktion besiegelten. Bei Cola mit Eis und Zitrone wechselten der Rucksack den Träger und 87.389 von baden-württembergischen Kroaten gesammelte D-Mark den Besitzer, fünftausend hatten sie wegen der ausgefallenen Fahrer abgezogen. Ein Handschlag folgte, Michel war ein großer Fan von Handschlägen, jedem Geschäftspartner, sagte er, dem er je die Hand gereicht habe, fühle er sich bis ans Lebensende verpflichtet. Zum Beweis werde er von der nächsten Telefonzelle aus ein paar Gespräche führen, spätestens morgen Nachmittag habe er sozialistischen Ersatz für die »beiden verfluchten Kroaten« gefunden.
»Nein, danke«, sagte Thomas. »Ich fahre selbst.«
»Wie bitte? Bist du schon mal Lkw gefahren?«
»Ich kann’s lernen.«
»Du willst allein mit einer Ladung Waffen nach Serbien?«
Thomas zuckte die Achseln. Bran hatte die Strecke Rottweil-Kroatien allein geschafft, da würde er Bautzen-Kroatien wohl auch schaffen. »Ja, warum nicht?«
»Weil das nicht geht, Klugscheißer, da muss man zu zweit sein. Du musst schlafen, du musst pissen, tanken, Essen holen, wer passt dann auf?«
»Ich«, sagte Dietrich und setzte sich zu ihnen.
46
DIENSTAG, 2. JULI 1991
ROTTWEIL
Entdeckungsreise durch ein zwanzig Quadratmeter großes Ziertellerkabinett, verbunden mit Ah’s und Oh’s, Ah, da waren wir kürzlich, Oh, schön, dort haben wir mal ein Wochenende verbracht, Ach, wie hübsch … Nach ein paar Minuten hatte Margaret gefunden, was sie gesucht hatte: Freiburg und Aschaffenburg, wo sie geboren waren, ein sepiabraunes Münster und ein dunkelgelbes Schloss Johannisburg. Sie gehörten, sagte die Mutter in gebrochenem Deutsch, eben schon lange zur Familie. »Und Sie gehören in Zukunft immer zu uns.«
Die beiden Frauen standen noch, die beiden Männer saßen bereits, hatten zur Anregung der Magensäfte eine Šljivovica getrunken und eine zweite zur Beruhigung hinterher, die Šljivovica ist einsame, gierige Frau, hatte Vater Ćavar erklärt. Richard Ehringer behielt das leere Glas in der Hand, auf dem Tisch war kein Platz mehr vor lauter Tellern, Platten, Schüsseln, Schalen.
»Frauen!«, rief Ćavar mit einem Kopfschütteln aus. »Freuen sich über leere Teller an der Wand, wo niemand satt wird! Herr Doktor Ehringer hat Hunger!«
»Aber Ihre Kinder sind doch noch gar nicht
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