Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum
können.
Und doch …
Ehringer musste sie nur ansehen, um zu wissen, dass der Zusammenbruch lediglich aufgeschoben war.
»Und bist du unserem Bundeskanzler auch schon begegnet, Richard?«, fragte Petar. »Herrn Dr. Tuđman?«
»Nein, aber ich werde am 18. Juli bei einem Treffen mit ihm dabei sein, er kommt nach Bonn.«
»Bitte sage ihm Grüße von den Kroaten in Rottweil, wir sind bereit, der Heimat beizuspringen!«
»Nicht alle, Papa«, sagte Milo mit einem ironischen Lächeln.
»Die einen ja, andere nein, das ist zu kompliziert für eine kurze Nachricht! In der Kürze liegt die Würze, oder?« Petar lachte.
»Wir fahren am 18. auch nach Bonn«, sagte Thomas. »Josip und ich.«
»Womit?«, fragte Jelena.
Thomas errötete.
»Er hat sein Auto in der DDR vergessen.«
»Ex- DDR «, korrigierte Ehringer freundlich.
»Warum holt ihr es nicht zusammen?«, fragte Margaret.
»Ich muss in die Uni«, sagte Jelena.
Thomas räusperte sich. »Morgen nicht.«
»Nein, morgen muss ich zu meinen Großeltern.«
»Die leben in der Nähe, in Bösingen«, sagte Thomas. »Das ist …« Er hielt die Hände übereinander, um die geographische Situation zu erklären, ließ sie abrupt sinken.
»Ihr könntet mit uns kommen«, sagte Margaret. »Wir fahren über die DDR nach Hause.«
»Ex- DDR !«, sagte Ehringer erschrocken.
»Wo genau steht es?«
»In einem Wald bei Bautzen.«
»So ein Zufall, wir wollten über Bautzen fahren.« Margaret strahlte, in ihren Augen schimmerten Tränen. Routiniert entschuldigte sie sich, ging hinaus.
Ich bin mit dieser Welt nicht kompatibel. Mit Menschen. Mit mir.
Glück fand nur noch außerhalb von ihr statt. Den Jungen mit der Russenmütze vor dem Gefängnis bewahren. Mit seiner Liebsten versöhnen. Auch wenn das einen Umweg von neunhundert Kilometern bedeutete.
»Wirklich?«, sagte Jelena. »Sie würden uns nach Bautzen fahren?«
»Es wäre uns eine große Freude«, erwiderte Ehringer.
Die Gier der einsamen Frau hielt an.
Einsame Frauen, dachte Ehringer, waren sein Schicksal.
Margaret rettete ihn. »Mein Mann muss ein wenig auf seine Gesundheit achten.«
Er nickte erleichtert.
»Tommy«, sagte Margaret, »wir kennen die schlimme Version deiner Geschichte, erzähl doch mal die unterhaltsame.«
Jelena stand auf, griff nach den Tellern. »Warte, bis ich draußen bin.«
Schweigend wurde abgeräumt, alle halfen, bis auf die Gäste, die nicht durften. Jelena und die Mutter blieben in der Küche, und Thomas berichtete, immer wieder unterbrochen von begeisterten Zwischenrufen Petars, während Milo mit gerunzelter Stirn danebensaß. Der Riss, dachte Ehringers träges Sliwowitz-Hirn, ging mitten durch die Familie, gleich mehrfach, Petar hatte die Serbin Jelena nicht eines Blickes oder Wortes gewürdigt.
Dann sah er eine Autobahn unter sintflutartigem Regen verschwinden, einen schweigsamen Dolph Lundgren, einen bärtigen Franzosen im vietnamesischen Dschungel. Tausende Lastwagen, Flugzeuge, Panzer, einen lustigen, palatschinkenfarbenen Ambulanz-Lkw der ehemaligen DDR , im Windzug von einem Tisch flatternde D-Mark-Scheine. Fünf schwitzende russische Soldaten mit bloßem Oberkörper luden auf einer Waldlichtung siebenundvierzig Umzugskartons in Überlänge von einem mächtigen dunkelgrünen Pritschen-Lkw in den Palatschinken. Jeder Karton, hörte er, enthielt zwei oder drei Kalaschnikows vom Typ AK 47 à 4,3 Kilogramm ungeladen respektive zwanzig Makarow-Pistolen à 0,73 Kilogramm ungeladen, dazu Munition sowie Hunderte Verbandsrollen und Mullbindenpäckchen zur Tarnung.
»Zur Tarnung«, murmelte er und erlag dem Ruf der gierigen Frau.
»Živjeli!«, rief Petar.
»Schiweli«, ächzte Ehringer.
Die Naivität wurde durch Dreistigkeit ersetzt. Der Söldner Dietrich und sein Beifahrer Thomas schlüpften in gestärkte weiße Arztkittel, abends um acht fuhren sie los. Sie folgten den deutschen Autobahnen entlang der tschechoslowakischen Grenze, passierten Nürnberg und München. Ziel war die grüne Grenze nach Österreich, welche genau, war noch nicht entschieden. Dietrich wollte einen »Kameraden« anrufen, der sich mit solchen Details auskenne.
»Aber …«, begann Ehringer und stockte.
Margaret vollendete für ihn: »Aber hast du denn keine Angst gehabt? Waffen im Wert von Tausenden von Mark, ein Söldner …«
»Ein bezahlter Mörder«, sagte Milo.
Thomas hatte die Ellbogen auf die Beine gestützt, der Kopf hing tief über dem Tisch. Nein, erwiderte er, Angst habe er nicht
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