Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum
da.«
»Die hat meine Frau schön erzogen, die Kinder, kommen zu spät, missratene Kinder sind das! Zigarette?«
»Ich rauche nicht mehr, danke.«
Das Glas in Ehringers Hand füllte sich, Ćavar schien erneut den Ruf der gierigen Frau vernommen zu haben.
»Živjeli!«
»Zum Wohl.«
»Auf Thomas!«
»Nur unter Protest, Herr Ćavar.«
»Petar!«
»Richard.«
»Hm, Bonn habe ich gar nicht gesehen«, hörte er Margaret sagen, während er trank, und er dachte, dass alles so wunderbar hätte sein können. Wo sie sich wohl fühlte, ging es ihr gut, war sie noch immer ein strahlend schöner, fröhlicher Mittelpunkt. Die Menschen mochten sie, sie gab so viel, bekam so viel. Doch es ging ihr nur noch an wenigen Orten gut.
»Bonn wir haben nicht gefunden«, sagte die Mutter.
»Ich weiß«, flüsterte Margaret, öffnete die Handtasche, zauberte Bonn hervor.
Die »Kinder« kamen, Thomas, Jelena, Milo. Der kleine Petar sprang auf, klopfte seinem schlaksigen Helden auf den Rücken. »Das ist er, mein tapferer Sohn Tommy, wo Sie haben das Leben gerettet, und das da ist der andere, Milo.«
Diesmal fiel der Dank schüchterner und weniger pathetisch aus.
Alle drei angenehme Zwanzigjährige, fand Ehringer, Milo etwas verkniffen, Jelena still, Thomas verlegen. Man sah ihm an, dass er nicht gerade darauf brannte, zum tausendsten Mal von seinem großen Abenteuer zu erzählen, das in einer Rottweiler Zelle geendet hatte.
Doch erst einmal wurden die Töpfe und Schüsseln von ihren Deckeln befreit, wieder Ah’s und Oh’s, dazu umfangreiche Erklärungen von Petar und der Mutter, während Ehringer das Wasser im Mund zusammenlief. Im Vergleich zu Margarets strikt gesunden Speisen war ihm dies das Paradies, jedes zweite Gericht Fleisch, Grünes war angemessen rar.
Sein Teller befand sich in der Hand Petars, er musste nur deuten, und das Beste: Er hatte einen Komplizen, der Teller schwer wie ein Ziegelstein, als er ihn zurückbekam.
Und Pommes! Wann hatte er zuletzt Pommes gegessen?
Sie aßen. Die Eltern fragten nach dem Leben in der Politik, Margaret skizzierte es, Ehringer, hin und wieder um Bestätigung gebeten, nickte kauend.
»Und du kennst Herrn Bundeskanzler persönlich?«, fragte Petar.
»Ja«, sagte er.
»Wird er Kroatien die Anerkennung geben?«
»Das steht im Moment wohl nicht zur Debatte.«
Kohl hatte wenige Tage zuvor im Kabinett erklärt, dass er für das Selbstbestimmungsrecht Kroatiens und Sloweniens eintrete. Regierungssprecher Vogel hatte das kurz darauf vor der Presse wesentlich vorsichtiger formuliert. Böse Zungen behaupteten, der Außenminister, der seit dem Vortag in Jugoslawien weilte, habe dies veranlasst.
Für Ehringer und das Auswärtige Amt stand über allem der Verzicht auf Gewalt. Die jugoslawischen Konflikte mussten um jeden Preis friedlich beigelegt werden – auch wenn man die Legitimität der Selbstbestimmung der Republiken anerkannte. Eine Gratwanderung, die immer häufiger den Anschein erweckte, man lavierte und wollte sich alle Optionen offenhalten. Anders die USA und die EG , die gerade deutlich gemacht hatten, dass sie die Verkündung der Unabhängigkeit durch Kroatien und Slowenien kritisch betrachteten und als gefährlich werteten.
»Aber er muss!«, flüsterte Petar beinahe verzweifelt. »Die Bolschewisten …«
Seine Frau klopfte ihm sanft auf den Arm, und er brach ab. Zündete sich eine Zigarette an, hüllte sich in Rauch und Schweigen.
Ehringer begegnete Margarets Blick. Sie schmunzelte, die Wangen gerötet, die Augen fröhlich. Alles, dachte er, hätte so wunderbar sein können. Selbst jetzt noch, nach dem Foto, nach dem Interview, die vor eineinhalb Wochen erschienen waren und ihr politisch das Genick gebrochen hatten.
Kommentarlos hatte Bonn die Doppelseite zur Kenntnis genommen. Niemand verlor auch nur ein Wort. Doch man hörte, wie im Verborgenen die Messer gewetzt wurden für den Fall, dass Margaret falsch reagierte. Alle warteten, die Kollegen wie die seriösen Journalisten.
Zwei Tage später ließ sie bekannt geben, dass sie sich aus der Politik zurückziehe.
Ehringer hatte gedacht, dass dies das Ende wäre, dass sie vollends zusammenbrechen würde. Aber das war nicht geschehen. Drei furchtbare Tage folgten, in denen sie das Bett nicht verließ, dann stand sie auf, duschte ausgiebig und präsentierte sich stolzer und energischer denn je, der Trotz gab ihr Kraft.
Dann kam Marković und flehte um die Rettung von Thomas. Er hätte keinen besseren Zeitpunkt wählen
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