Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum
sich.
51
FREITAG, 15. OKTOBER 2010
BERLIN
Lorenz Adamek stand auf dem Balkon der Freiheit und starrte in die Nacht.
Er hasste Stunden wie diese: zur Untätigkeit verdammt.
Er war nicht lange in Ratzeburg geblieben. Die beiden Hamburger hatten ihn nach Rheinsberg gefahren, auf der dortigen Polizeiwache hatte er eine Stunde mit den zuständigen Kollegen gesprochen, sechs Kriminalern aus Oranienburg. Sie waren übereingekommen, eine Sonderkommission einzuberufen, deren Leitung er übernehmen würde. Er war in Brandenburg nicht zuständig, aber mit dem Fall vertraut.
Mate Sjelo war noch nicht gesichtet worden. Sein Haus am Stadtrand lag im Dunkeln, der auf ihn angemeldete Toyota war nicht zu finden. Im Pflegeheim hatte man den Beamten die Auskunft erteilt, er habe sich bereits am Dienstag für den Rest der Woche krankgemeldet.
Wir lassen nach dem Toyota fahnden, hatte Adamek gesagt. Für den Fall, dass sie sich nicht in Rheinsberg treffen.
Sind wir sicher, dass sie sich überhaupt treffen?
Nein. Wir sind nicht mal sicher, dass der alte Stjepan wirklich »Mate Sjelo« gesagt hat. Aber Sjelo stand mit Marković in Verbindung, und einen anderen Anhaltspunkt haben wir nicht.
Vor zwei Stunden dann ein Anruf aus Rheinsberg. Die Schweriner hatten einen Autohändler aufgestöbert, der einem Mann, auf den Jelenas Beschreibung von Jordan passte, am frühen Abend einen gebrauchten Nissan-Van verkauft hatte. Die Fahndung war bislang ergebnislos verlaufen.
Schwerin, dachte Adamek. Von Rostock gingen Fähren nach Dänemark, Schweden, Finnland, Lettland und Polen. Von Sassnitz nach Dänemark und Schweden.
Nein, dachte er. Sie waren mit Mate Sjelo verabredet. Sjelo passte perfekt ins Bild. Ein ehemaliger Mitarbeiter der jugoslawischen Botschaft in Bonn, Leibwächter mit Waffenschein, kannte Marković.
»Fertig«, rief Karolin.
»Ich komme.«
Sie war vor einer halben Stunde nach Hause gekommen, hatte unterwegs Sushi besorgt und nun auf Tellern arrangiert.
Sie aßen auf der Couch, sahen The Wire auf DVD , die erste Staffel im amerikanischen Original, Adamek verstand kaum ein Wort. Die Serie war Kult in Karolins Kreisen.
Beim Fernsehen essen und entspannen, danach erzählen, so hielten sie es meistens.
Ein seltsames Gefühl, als er die Wohnung gegen halb acht betreten hatte: dass er nicht mehr hierhergehörte. Er war auf den Balkon geflohen, hatte zugeschaut, wie es dunkel geworden war über Tiergarten, Charlottenburg, dem Westend, Brandenburg.
Aber er gehörte doch hierher, dachte er. Zu Karolin. Er liebte sie doch.
Er sah sie an.
Ein Stück Lachs verschwand zwischen ihren nervösen Lippen. Ihre Augen glitten vom Bildschirm zum Sushi und zurück. In Gedanken hetzte sie wohl noch einmal durch den Tag, wie immer, wenn sie abends endlich daheim war. Sie wirkte verletzlich und zart in diesen Momenten.
Sie drehte den Kopf zu ihm. »Was ist denn?«
»Nichts.«
»Soll ich den Film anhalten?«
Er nickte.
Das Bild fror ein. Ein amerikanischer Detective mit einem Zeugen. Sehr grisselig, ein bisschen unscharf. Sehr real, hatte er gelesen.
»Wollen wir heiraten?«, fragte er.
»Heiraten?«, wiederholte sie überrascht.
Er nickte wieder.
Karolin lächelte, ihre Augen wurden feucht. »Du weißt, dass ich dich heiraten würde, Lorenz.«
»Falls du heiraten würdest?«
»Ach, ich würde schon heiraten …«
»Aber?«
»Es bedeutet mir eben nicht so …« Plötzlich strahlte sie. »Ja, lass uns heiraten! Ich meine: Ja, ich will dich heiraten! Oh Mann!«
Sie küssten sich. Karolins Stäbchen klickten wie niedliche, harmlose Miniaturlanzen gegen seine.
»Wir sollten jetzt Sex haben«, flüsterte sie.
»Ja«, sagte er.
»Hier, auf der Couch.«
»Ja«, sagte er.
Als er ihr die Bluse über den Kopf zog, bat sie ihn, nicht so grob zu sein. Er bemühte sich, aber er hatte keine große Lust, sanft zu sein. Er merkte, dass es Karolin ähnlich ging.
Dann war er in ihr und dachte, dass er auf irgendeine bizarre Art und Weise Daniela Schneider vögelte. Er blickte in Karolins Augen, wusste, dass ihr Körper unter seinem lag, sah die vertrauten Muttermale über ihren Brüsten, dachte an sie, und doch vögelte er Hocherfreut Daniela Schneider.
Sie lagen nebeneinander auf der Couch und sprachen über mögliche Hochzeitsorte – Istanbul, Capri, Indien –, als sein Handy klingelte. Er musste nicht einmal aufstehen, es lag auf dem Sushi-Tablett.
Mate Sjelo war nach Hause gekommen.
Doch Eile war wohl nicht geboten. Sjelo
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