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Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Titel: Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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kamen im falschen Moment.
    Markus Bachmeier saß an der Scheunenwand im Schatten, vier hellbraune Hundewelpen im Schoß. Er musste sich entscheiden – für einen, gegen die anderen drei.
    Er hatte keine Augen für den roten Granada.
    »Kleine Spritztour gefällig?«, fragte Thomas und ließ den Motor im Leerlauf brummeln.
    »Ich kann jetzt nicht«, murmelte Markus, ohne aufzusehen.
    Sie stiegen aus, knieten sich neben ihn. Jelena nahm einen der Welpen hoch, rieb die Wangen an ihm, flüsterte mit tieferer Stimme Koseworte auf Serbokroatisch, die Thomas nicht geläufig waren. Vukovarer Dialekt vielleicht oder alte Wörter aus der serbischen Heimat ihrer Vorfahren. Wie schön sie war, dachte er, wenn sie nicht ernst oder stark war, sondern zärtlich.
    Noch schöner als sonst.
    Sie legte den Welpen zurück, griff nach dem nächsten, sprach mit ihm, dann war der dritte an der Reihe, als wäre es ein Ritual, mit dem sie den Tieren die Angst vor der Welt nehmen wollte.
    Auch ihm nahm sie manchmal die Angst. Blieb skeptisch, was das Morgen betraf, und flößte ihm doch Mut für das Heute ein.
    Der vierte Welpe tastete mit der Pfote nach ihrem Mund. »Da, da, da«, flüsterte sie. Sie mochte es selbst noch nicht wissen, aber sie würde eine großartige Mutter sein.
    Falls man von Hundewelpen auf Babys schließen konnte.
    Endlich hob Markus den Blick. »Nehmt ihr zwei? Jeder einen? Dann bleiben sie sozusagen in der Familie.«
    »Die sind zu klein für den Granada«, sagte Thomas.
    »Den was?«
    »Mein Auto. Unser Auto.«
    Ein flüchtiger Blick auf den Wagen, die Sorgenfalten auf Markus’ Stirn blieben. »Ich weiß nicht, welchen ich behalten soll«, jammerte er.
    »Den«, sagte Jelena und deutete auf den zweiten Welpen. Er war ein wenig dunkler als die anderen, erklärte sie. Kam sich vielleicht wie ein Außenseiter vor und brauchte ein liebevolles Herrchen.
    Liebevoll, dachte Thomas, und ein kleiner Stich der Eifersucht durchzuckte ihn. Er wusste natürlich, dass Markus keine Gefahr darstellte. Zu schüchtern, zu dick, zu jung, erst siebzehn. Aber liebevoll … War liebevoll wichtig für Jelena? Und fand sie ihn liebevoll?
    Du bist manchmal ein bisschen rücksichtslos, Tommy …
    Rücksichtslos im Überschwang. Das gefiel ihr nicht. Er nahm sich vor, sich zu ändern.
    »Wie willst du ihn nennen?«, fragte sie.
    »Granada«, sagte Thomas.
    »Methusalem«, sagte Markus.
    Auch zu Hause interessierte sich niemand für das neue Auto. Im kleinen Wohnzimmer der Ćavars gärte es.
    Stumm standen sie da und lauschten dem serbokroatischen Stimmengewirr. Ein Dutzend kroatische Bekannte waren gekommen. Auch Thomas’ Mutter und sein Bruder Milo waren da. In der Mitte des Raumes drehte sich sein Vater um die eigene Achse und schrie: »Sie stehlen uns die Heimat!«
    Wenige Tage zuvor war in der Krajina die »Souveränität und Autonomie des serbischen Volkes in Kroatien« erklärt worden. Nun hatten die Serben Straßen- und Schienensperren errichtet und eine kroatische Polizeistation geplündert.
    Die »Baumstammrevolution« hatte begonnen.
    Über das Karstland der Plitvicer Seen patrouillierten serbische Milizen und kroatische Polizisten. Eine seltsame Vorstellung, dachte Thomas: Die Plitvicer Seen waren Karl-May-Land.
    Winnetou, Old Shatterhand und vor allem die beiden Frauen: Nscho-tschi und Ribanna. Er hatte sich in Nscho-tschi verliebt, Milo in Ribanna.
    Gestorben waren beide.
    Er hatte tagelang geheult. Milo hatte ihn getröstet.
    Die Plitvicer Seen, das grausame Land zwischen Kindheit und Jugend.
    Sanft legte er den Arm um Jelena. Auf Nscho-tschi waren andere gefolgt. Auf Jelena würde keine mehr folgen.
    Sie blieb steif in seinem Arm, und ihr Blick gefiel ihm nicht. Zu ernst, zu besorgt. Immer suchte sie am Horizont nach drohenden Gefahren.
    Lächle, Jelena, lächle.
    »Komm, wir gehen«, flüsterte er auf Deutsch.
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Was nehmen sie sich als Nächstes?«, schrie sein Vater. »Dalmatien?«
    Die Zierteller an den Wänden ließen seine Stimme hallen. Über vierhundert waren es inzwischen, seit zwanzig Jahren sammelte die Mutter. Das Deutschlandzimmer. Teller mit typischen Motiven aus allen Bundesländern, fast allen größeren Städten. Vor einem Jahr war die DDR dazugekommen. Im Frühling hatte die Mutter die Westteller abgehängt und in kleineren Abständen wieder aufgehängt, um Platz zu schaffen. Seitdem schleppten die Gäste der Ćavars Motive aus den neuen Bundesländern an. Die Mutter – das war

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