Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Titel: Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
Vom Netzwerk:
ein eigenes Ministerium für die Rückkehr der Emigranten einrichten. Man brauche die Exilkroaten in der alten neuen Heimat. Sie sollten Ämter übernehmen, mit ihrer internationalen Erfahrung helfen.
    Helfen? Wobei?, hatte Milo gefragt.
    Das werdet ihr bald sehen.
    Ihr legt es auf einen Krieg an, richtig?
    Niemand will Krieg, Milo. Niemand.
    Die Unabhängigkeit gibt es nicht ohne Krieg, Papa!
    Ihr Vater schien in jenen Tagen wieder jung geworden zu sein, strahlte von innen heraus, ging nicht mehr gebückt, sah nicht mehr erschöpft und krank aus. Ein paar Wochen in der Partei, und er wirkte frischer denn je.
    Und wütender.
    Er ist verrückt, hatte Milo später gesagt. Er, Josip, Tuđman, Milošević, sie sind alle verrückt.
    Thomas interessierte Politik nicht, Heimat schon gar nicht. Heute lebte er in Rottweil, morgen vielleicht in Stuttgart, übermorgen, wer wollte es vorhersagen?, in Hongkong. Jugoslawien war ihm ein dunkles, unerklärliches Reich fern im Süden, in dem die grauen, verknitterten Großeltern in schlecht isolierten Häusern wohnten und sich über Pakete mit Kerzen freuten, weil dauernd der Strom ausfiel.
    Jugoslawien war Roter Stern Belgrad, Hajduk Split und Dinamo Zagreb. Vukovar, wo Jelena herkam.
    Mehr nicht.
    »Die Serben träumen wieder«, sagte Josip und wandte sich ihm zu. Für einen Moment nahm er den schwachen Duft von Lavendel wahr. Ruhig und freundlich lagen die Augen Josips auf ihm. Aber er fand sie auch dunkel und von Sorge erfüllt.
    Er wartete. Wovon träumten die Serben?
    Als Josip nicht weitersprach, schweiften seine Gedanken zu dem Granada ab, der draußen wartete, ein rotes Fanal vor dem schmutziggelben Haus. So breit, dass andere Autos in der schmalen Glükhergasse nur im Schritttempo daran vorbeikamen.
    Bis vor zwei Stunden hatte es keinen Ort gegeben, an dem er ungestört mit Jelena schlafen konnte. Jetzt gab es den Granada.
    Die sexuelle Befreiung von Thomas Ćavar und Jelena Janić.
    Er grinste.
    »Wovon träumen sie?«, fragte Jelena auf Serbokroatisch.
    »Von Großserbien.« Josip, der wieder Thomas ansah, hielt die mächtige linke Hand hoch. »Bosnien und die Herzegowina.« Langsam beschrieb die rechte Hand über den Fingern der linken einen Halbkreis. »Dazu Dalmatien, die Krajina, Slawonien, die Baranja und natürlich Vukovar. Sie träumen den alten, ewigen Traum – alle serbischen Siedlungsgebiete gehören zu Serbien.«
    »Nicht zu vergessen Rottweil«, sagte Jelena.
    Josip schmunzelte.
    »Rottweil können sie haben«, flüsterte einer der Nachbarjungen.
    Gelächter brandete auf.
    »Alle Nationalisten haben einen Traum«, sagte Jelena. »Und es ist immer derselbe.«
    Josip klatschte in die Hände. »Schluss mit der Politik! Ja, ja, sie ist wichtig, aber alles hat seine Zeit.« Er stand auf, sah Thomas an, ein grobschlächtiger, beeindruckend großer Mann, dem das Leben und die Verantwortung tiefe Furchen ins Gesicht geschlagen hatten. »Na, hast du das Auto gekauft?« Jetzt funkelten die Augen, die Sorge war vertrieben.
    Thomas nickte überrascht.
    »Steht es draußen?«
    »Vor der Tür.« Wieder sprach er Deutsch, obwohl er es Josip gegenüber als unhöflich empfand. Doch sein Serbokroatisch – oder Kroatoserbisch? – klang hölzern und deutsch, er hätte sich vor diesem charismatischen Mann geschämt.
    Josip hob die Arme, drehte sich zu den anderen. »Dann lasst es uns ansehen!«

6
    MITTWOCH, 13. OKTOBER 2010
    ROTTWEIL
    Saša Jordan stand auf einem kleinen Parkplatz und dachte belustigt über ein Wort nach. Vielmehr: ein halbes Wort. Fünf rote Großbuchstaben auf der Fensterscheibe eines verfallenden Hauses gegenüber, beleuchtet vom orangefarbenen Licht des frühen Abends: DCLUB . Die erste Hälfte des Wortes war hinter dem geschlossenen Fensterladen verborgen, unter DCLUB klebte in vertikalen roten Großbuchstaben PARADISE .
    Ein CLUB PARADISE , der auf D endete.
    Hundclub, Pfandclub, Deutschlandclub?
    Auf der Straße, die vom Schwarzen Tor herüberführte, erklangen leise Schritte. Eine hagere Gestalt tauchte auf, Igor, die Hände in den Jackentaschen. Mit langen, schleppenden Schritten näherte er sich. Ein zerfallender Geist in einer fremden Welt, zutiefst erschöpft von einem Krieg, der 1991 begonnen hatte und erst mit seinem Tod enden würde.
    Wortlos umarmten sie sich.
    Ein Jugendclub, dachte Jordan, während sie in den Mietwagen stiegen. Die Jugend, ein verlorenes Paradies.
    Er ließ den Motor an.
    Sie fuhren durch das Schwarze Tor, dann die

Weitere Kostenlose Bücher