Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum
erzählt.
»Morgen«, sagte Jordan. »Wenn ich bei Bachmeier war.«
Und, dachte er, den Krieg in das hübsche Tal gebracht habe.
7
MITTWOCH, 13. OKTOBER 2010
BERLIN
Deutschland gegen Finnland in Hamburg, WM-Qualifikation, ein Trauerspiel. Seit der elften Minute führten die Finnen mit 1:0.
Kurz vor der Pause schaltete Adamek den Fernseher aus.
Er blieb auf dem Sofa sitzen, eine Flasche König Pilsener in der Hand. Jenseits der drei Fensterwände zog die Regendämmerung herauf. Noch gut zwei Stunden bis zum Abendessen um neun im »Jacques«.
Karolin und ihre Kreise.
Er mochte diese Menschen. Sie wussten so viel, kleideten sich so elegant, sprachen druckreif. Sie umgaben sich mit geschmackvollen Dingen, waren in der weiten Welt zu Hause. An Orten wie Capri bewegten sie sich mit der größten Selbstverständlichkeit, und sie erkannten auf einen Blick, was hip und schick und besonders war.
Trotzdem lauschten sie seinen Berichten von den Verbrechen in Berlin mit fasziniert-erschrockenen Kinderaugen, und manchmal hatte er den Eindruck, sie fürchteten sich tatsächlich. In solchen Augenblicken spürte er, dass sie ihn brauchten. Sie waren froh, dass er an ihrem Tisch saß. Einer, der wusste, wie man mit den Gefahren umging, die überall lauerten.
Anschließend erklärten sie mit bestechender Logik, weshalb in einer Welt wie dieser derart schreckliche Dinge geschehen mussten .
Ja, sie mochten einander, zumindest für eine Weile.
Die Sache mit den Gegensätzen.
Sein Blick glitt über das riesige, spärlich möblierte Wohnzimmer. Mies van der Rohe, Charles & Ray Eames, Wilhelm Wagenfeld, Verner Panton, Alvar Aalto.
Lorenz Adamek.
Eine Grimasse schneidend, stand er auf, um sich ein zweites Bier zu holen. Er gehörte einer anderen Welt an, die weder hip, noch cool, noch ästhetisch war, sondern hässlich und normal. In der es um Gier, Gewalt, Lügen, Heimtücke, Verzweiflung und ein bisschen auch um Dummheit ging.
Er fühlte sich wohl darin.
Auf dem Weg zum Esstisch stach die Beckenverklemmung, er ließ die Hüfte rotieren, hinten knackste es ungut. Vorsichtig setzte er sich und startete Karolins schneeweißes MacBook.
Ein ehemaliger Diplomat und ein Junge, der vor fünfzehn Jahren mutmaßlich ums Leben gekommen war. Ein Toter, der nie offiziell für tot erklärt, eine Leiche, die nie gefunden worden war. Eine Lüge.
Das war seine Welt.
Richard und Margaret Ehringer, jahrelang Traumpaar der Bonner Republik. Die BILD hatte sie 1986 aufgestöbert, die Süddeutsche , die F.A.Z . , die Berliner Nachrichten und andere hatten nachgelegt. Beide passabel aussehend, eloquent, gebildet, ehrgeizig, vielleicht für Höheres bestimmt.
Und sie spielten Tennis. Nicht unwichtig, in Zeiten von Becker und Graf.
Ein Foto zeigte sie im September 1990 am Köln-Bonner Flughafen auf dem Weg in den Spanien-Urlaub. Selbst in Freizeitkleidung, Händchen haltend, im Laufschritt mit Gepäck strahlten sie Seriosität und Amtswürde aus. Ein professionelles Lächeln für den Fotografen von Margaret, während Richards Augen auf ihr lagen.
Adamek kannte das Foto bereits.
Verdiente Pause vom Politbetrieb in einem aufreibenden Jahr, hatte eine Kölner Zeitung getitelt.
Er kehrte zu Google zurück.
Ja, das Jahr 1990 war aufreibend gewesen. Michail Gorbatschow zum Präsidenten der UDSSR gewählt, Nelson Mandela frei, die Stasi-Zentrale gestürmt, die Unabhängigkeitserklärungen der baltischen und anderer Sowjetstaaten. Die Attentate auf Oskar Lafontaine und Wolfgang Schäuble, die Mauer abgerissen, der deutsch-deutsche Einigungsvertrag unterzeichnet, der Einmarsch des Irak in Kuwait. Auf dem Potsdamer Platz das Roger-Waters-Konzert, Adamek, einundzwanzig und Polizeischüler, war dort gewesen. In Tokio war Mike Tyson benommen auf allen vieren durch den Ring gekrochen, Adamek hatte am Fernseher zugeschaut. Brehmes 1:0 gegen Argentinien, Adamek hatte wie von Sinnen gefeiert.
Jetzt gönnen sie sich zwei Wochen Andalusien, hatte die Zeitung geschrieben.
Richard und Margaret Ehringer, ein Traumpaar mit einer vielversprechenden Zukunft. Das Schicksal hatte es anders gewollt.
Adamek suchte weiter.
Margaret – »promoviert und ausgesprochen pointiert« – hatte sich damals als stellvertretende Vorsitzende der nordrhein-westfälischen SPD auf der Suche nach einer Funktion befunden und habe, hieß es, gute Chancen auf das Amt der Justizministerin gehabt, falls die Landes- SPD 1995 erneut gewänne.
Richard hatte seit 1985 im Auswärtigen
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