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Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Titel: Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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Anschläge, Brandstiftung, Bomben. Angesichts der Situation in Jugoslawien befürchtete man in Bonn, der schmutzige Auslandskrieg könnte wieder aufflammen. Also hatte das Innenministerium einen Verfassungsschutzbericht über kroatische Exilorganisationen angefordert. Pflichtlektüre für die Mitarbeiter des Referates 214.
    »Was für ein Jahr.« Marković war ans Geländer getreten, hielt den Blick auf die Godesburg gerichtet.
    »Allerdings.«
    »So segensreich für unsere beiden Länder.«
    Ehringer schürzte die Lippen. Die ersten freien Wahlen in Kroatien im April mit dem Sieg von Tuđmans HDZ , die am 31. August bevorstehende Unterzeichnung des deutsch-deutschen Einigungsvertrages. »Warten wir ab, was die Zukunft bringt.«
    »Nur Katastrophen, wenn Sie mich fragen«, warf Friedrich Kusserow ein.
    Sie wandten sich um.
    Kusserow, der an der Balkontür stand, hob die Hand mit Flasche und Glas in Richtung Ehringer. »Da haben wir Sie schön in der Zange. Was sagen Sie zur Lage in der Krajina?«
    »Der Minister beobachtet die Vorgänge mit der gebotenen Aufmerksamkeit.«
    »Bah, der Minister. Der steht noch heulend auf dem Balkon der deutschen Botschaft in Prag. Ich frage Sie .«
    Ehringer nahm einen Schluck Champagner, warf dabei unauffällig einen Blick auf die Uhr. Sechs, sieben Minuten waren verstrichen, seit Margaret gegangen war.
    Er sah Kusserow an.
    Das Auswärtige Amt wertete die Ereignisse in der kroatischen Krajina als innerstaatlichen Konflikt. Kusserow wusste das, und es passte ihm nicht. Seine Frau war Halbkroatin, er selbst Kommunisten- und Serbenfresser. Nicht erst seit dem Wahlsieg Tuđmans redete er in seinen Artikeln einer »Selbstbestimmung« der Teilrepubliken Slowenien und Kroatien innerhalb einer »Konföderation« das Wort.
    Und das hieß in letzter Konsequenz: der Sezession.
    Die deutsche wie die internationale Politik dagegen sahen zum jugoslawischen Staatsverband keine Alternative. Auch das wusste Kusserow, auch das passte ihm nicht. Und man musste ihn ernst nehmen. Der Einfluss der Berliner Nachrichten auf die liberalkonservativen Wähler war groß. Kusserow und seine Zeitung bildeten Meinungen.
    »Soweit mir bekannt ist«, erwiderte Ehringer, »sorgen sich die kroatischen Serben seit der Verfassungsreform um ihre Zukunft. Sie vom staatskonstituierenden Volk zu einer Minderheit mit entsprechend weniger Rechten herabzustufen war nicht dazu angetan, die Gemüter zu beruhigen. Genauso wenig, dass überall in Kroatien wieder das rot-weiße Schachbrett auf Flaggen, Wappen und Polizeiuniformen auftaucht, das die Serben vermutlich mit dem Ustaša-Staat assoziieren. Selbstverständlich gibt ihnen das …«
    Kusserow schüttelte den Kopf. »Sie lassen sich von der kommunistischen Propaganda blenden, Ehringer.«
    »… nicht das Recht, die Autonomie auszurufen.«
    »Nun …«, begann Marković.
    Kusserow fiel ihm ins Wort. »Ehringer, Himmel noch mal, begreifen Sie nicht? Milošević schafft ein Großserbien, und die Welt lässt ihn gewähren. Die Chance, ihm Einhalt zu gebieten, kommt nur einmal! Handeln Sie! Jetzt! Die deutsche Regierung muss ihre Solidarität mit dem kroatischen Volk erklären. Unterstützen Sie Tuđman dabei, Kroatien aus der großserbischen Überfremdung zu führen!«
    Ehringer versuchte, sich zu erinnern, woher er diesen letzten Satz kannte. Dann fiel es ihm ein. Eine Formulierung Johann Georg Reißmüllers kürzlich in der F.A.Z. Er unterdrückte ein Schmunzeln. Der große Kusserow stahl Wörter.
    »Herr Ehringer«, sagte Marković sanft, »wir Kroaten wollen frei sein, genau wie Ihre Landsleute aus Ostdeutschland.«
    »Dagegen ist auch nichts einzuwenden.«
    »Aber?«, warf Kusserow ein.
    »Zumal die Teilrepubliken seit 1974 laut Verfassung das Recht auf die Sezession hätten«, sagte Marković.
    »Eine völkerrechtlich umstrittene Interpretation, wie Ihnen bekannt sein dürfte.«
    »Aber?«, wiederholte Kusserow knurrend. Seine buschigen weißen Brauen waren nach oben gezogen, die Stirn lag in scharfen Falten. Er war Anfang sechzig und gesundheitlich angeschlagen. Die Kraft reichte gewöhnlich für ein paar fulminante Minuten, dann ebbte der Sturm ab. Auf seiner Stirn glänzte Schweiß, es würde nicht mehr lange dauern.
    »Aber nicht um den Preis eines Krieges«, antwortete Ehringer.
    »Tyrannei, damit der Status quo gewahrt bleibt?«
    »Die internationale Gemeinschaft ist sich in dieser Frage einig. Deutschland kann und will da nicht ausscheren, zumal mir scheint,

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