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Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Titel: Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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langsam den Flur entlang auf sie zu, drei gefüllte Gläser Champagner in der Hand. »Lächeln, Schatz. Er bringt Nachschub.«
    Sie stöhnte. »Der Preis ist hoch.«
    »Solange nicht auch noch Kusserow …«
    »Verdammt«, sagte Margaret. Auf der Treppe war der weiße Schopf Friedrich Kusserows erschienen, der gebeugte Rücken folgte. Mit der Linken zog sich der rheumageplagte Chefredakteur der Berliner Nachrichten am Geländer nach oben, in der Rechten hielt er die obligatorische Flasche Mineralwasser samt Glas.
    Ehringer seufzte. Ein Wolf im Schafspelz, ein Vertreter der Neuen Rechten, miteinander vereint im Kampf für ein freies Kroatien. Seit Wochen jagten sie ihn, heute Abend wollten sie ihn ganz offensichtlich stellen.
    Margaret löste sich von ihm. »Sehen wir uns auf dem Flokati?«
    »Gib mir zwanzig Minuten.«
    »Fünfzehn.«
    »Sechzehn.«
    »Abgemacht.«
    Lächelnd sah er zu, wie sie im Vorbeigehen erst Marković, dann Kusserow begrüßte und beide mit vollendeter Eleganz stehen ließ. Während sie die Treppe hinaufschritt, warf sie ihm einen verschworenen Blick zu, ein kleines Schmunzeln, und wie immer, wenn sie ihn so ansah, war er für einen Moment zutiefst glücklich.
    Marković war auf den Balkon getreten, hatte Ehringer eines der Gläser gereicht, das für Margaret gedachte auf einem Tischchen abgestellt. »Wie schade«, sagte er mit seinem warmen serbokroatischen Akzent. »Ich hätte mich gern im Glanz der Schönheit und Intelligenz Ihrer Frau gesonnt.«
    »Sie müssen sich mit meiner Schönheit begnügen.«
    »Die der Ihrer Frau in nichts nachsteht.«
    »Was man in Bezug auf meine Intelligenz vermutlich nicht sagen kann.«
    »Ein Mann, der seine Schwächen kennt, wird nie verlieren.«
    Lachend stießen sie an.
    Ehringer zeigte auf Marković’ unauffälligen, perfekt sitzenden Anzug. »Wie ich Sie um Ihren Schneider beneide.«
    Und nicht nur darum, wenn er ehrlich war.
    Die tiefstehende Sonne verlieh Marković’ gebräuntem Gesicht eine noch dunklere Färbung. Der Haaransatz nicht einen Millimeter zurückgewichen, keine Spur von Grau. Ein Einundvierzigjähriger, der kaum älter wirkte als dreißig. Die Berge, mein Freund, hatte Marković einmal erklärt. Sooft es ihm möglich sei, fahre er zum Wandern in die Alpen.
    Ehringer kam sich neben ihm wie ein bleicher, kraftloser Aktenwurm vor. Zum Glück – wie lächerlich! – war der Aktenwurm deutlich größer.
    »Begleiten Sie mich übernächste Woche nach Zagreb«, sagte Marković. »Dann bringe ich Sie zu ihm.«
    »Verlockende Vorstellung.«
    »Auch ein Treffen mit Präsident Tuđman könnte arrangiert werden.«
    »Das wäre sicherlich hochinteressant, nur ist der Zeitpunkt dafür weniger geeignet. Margaret und ich fliegen übernächste Woche in Urlaub.«
    Marković berührte seinen Arm mit der Hand. »Sehen Sie, darum beneide ich Sie . Urlaub mit der Gattin.« Seine Frau war Mitte der achtziger Jahre an Krebs gestorben. Trotzdem strahlte er eine ungeheure Kraft aus, die Ehringer fehlte. Ein Mann, der seinen Weg bis zum Ende ging.
    Dieser Weg hatte 1971 begonnen, als Philosophiestudent im Kroatischen Frühling, den Tito im Dezember desselben Jahres brutal zerschlug. Eine eigene kroatische Nationalbank, eine eigene kroatische Rechtschreibung, eine eigene kroatische Staatsflagge, eine eigene kroatische Identität, dazu Dezentralisierung – zu viel Kroatien für Belgrad. Die Erinnerung an das faschistische kroatische Ustaša-Regime des Zweiten Weltkriegs war bei den Partisanen von einst noch zu lebendig.
    Wie Franjo Tuđman und andere musste Marković ins Gefängnis. Nach zweieinhalb Jahren wurde er mit Rede- und Schreibverbot entlassen. Er floh ins Ausland, erst nach Spanien, später in die Bundesrepublik, wo die kroatische Diaspora gut organisiert war. Von München aus pflegte er bald Kontakte zum »Kroatischen Nationalkomitee«, den »Kroatischen Heimatverteidigern«, dem »Bund der Vereinigten Kroaten« und der noch vom Ustaša-Führer Ante Pavelić gegründeten Dachorganisation »Kroatische Befreiungsbewegung«.
    Inzwischen ging in der kroatischen Exilantenszene nichts mehr ohne Marković. Er war der Verbindungsmann nach Zagreb, zur HDZ , zu Tuđman.
    All das wusste Ehringer erst seit kurzem.
    In den sechziger und siebziger Jahren hatte die Auseinandersetzung zwischen kroatischen Nationalisten und dem jugoslawischen Geheimdienst UDBA auch in der Bundesrepublik stattgefunden. Ein ermordeter Konsul, ein erschossener Vizekonsul, weitere

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