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Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Titel: Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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niemand hatte seit dem Mittag nach ihm gefragt.
    Auch Marković, den er eben angerufen hatte, wusste sich keinen Reim darauf zu machen. Wenn es ein Problem gibt, musst du es schnell lösen, Saša. Ohne Zeugen, ohne Aufsehen.
    Jordan erhob sich. Probleme wie dieses, dachte er, ließen sich vielleicht bei einem Abendspaziergang durch einsame Gassen lösen.
    Sorgfältig brachte er Spuren von Kreidepulver auf den Badezimmertürklinken auf, befestigte den Faden mit Hilfe von Reißzwecken wieder zwischen Blatt und Rahmen der Zimmertür.
    Als er auf die Straße trat, schlugen die Kirchenglocken acht. Die Dämmerung hatte eingesetzt, es würde rasch dunkel werden.
    Dass jemand an ihm dran war, überraschte ihn nicht, er hatte es zahllose Male erlebt.
    Überraschend war nur, dass er es erst so spät bemerkt hatte.
    Fünfzehn, zwanzig Minuten lang ging er durch die Straßen, die ihm mittlerweile fast schon vertraut waren. Schließlich gelangte er in einen kleinen öffentlichen Park.
    Wieder rührten sich seine Instinkte nicht.
    Wieder war jemand da.
    »Lass uns reden, Kroate«, sagte eine Männerstimme hinter ihm.
    Jordan wandte sich um. Im Schein der Weglampe sah er einen mittelgroßen Mann, der Kopf im Dunkeln, eine Hand in der Jackentasche. Die Stimme war die eines älteren Serben, Ende vierzig, Anfang fünfzig.
    Das richtige Alter für den Krieg, dachte er, die richtige Ausbildung ohnehin – ein Mann, den nicht einmal er wahrnahm.
    Die beiden anderen spürte er. Irgendwo hinter ihm, irgendwo rechts von ihm.
    Dann hörte er sie auch. Schritte, Rascheln, Atemzüge.
    »Nicht bewegen«, sagte der Mann vor ihm.
    Eine Messerklinge rechts an seinem Hals, aus den Büschen trat im selben Moment der Dritte, ein Junge um die zwanzig, tastete ihn mit höhnischem Blick ab, nahm die Pistole und den Dolch an sich, verschwand wieder zwischen den Büschen.
    Der Mann vor ihm kam lautlos näher. Er sah durchtrainiert aus, war trotzdem schmal. Hellgraues Haar, hellgrauer Schnurrbart, die Augen lagen reglos auf Jordan. Ein ehemaliger UDBA -Agent vielleicht, auf jeden Fall ein ehemaliger Soldat.
    »Ćavar«, sagte der Mann. »Warum interessiert dich der?«
    »Nicht näher, das reicht«, erwiderte Jordan und spürte, wie die Messerklinge tiefer in seinen Hals gedrückt wurde. Sie konnte nicht besonders scharf sein, noch schnitt sie nicht in seine Haut.
    Der Mann war stehen geblieben. »Also?«
    »Warum interessiert er dich ?«
    Der Mann lächelte. »Es werden viele Lügen über ihn verbreitet.«
    Jordan hatte den Dialekt erkannt: ein Serbe aus der Krajina.
    Er wartete.
    »Ein Aufschneider und Feigling«, sagte der Mann. »Sein Vater behauptet, er war ein Held. Ein paar mehr solcher ›Helden‹, und die Krajina wäre heute noch serbisch.«
    Jordan wies mit dem Daumen auf die Büsche zu seiner Rechten. »Helden wie die beiden hier?«
    Der Mann lächelte. »Wie sollen sie ohne Krieg etwas lernen? Ich tue, was ich kann.«
    »Deine Söhne?«
    »Ein Sohn, ein Neffe.«
    »Der mit dem Messer?«
    »Der Neffe.«
    »Bring ihnen bei, wen sie meiden müssen«, sagte Jordan.
    »Männer wie dich?«
    »Ja.« Er hörte den Neffen hinter sich kichern. Jetzt ritzte das Messer die Haut auf. Blutstropfen liefen ihm kühl über die Brust, die Seite.
    »Sava«, sagte der Mann.
    Der aus den Büschen trat auf den Weg, Jordans Waffen in den Händen. »Hast ein großes Maul«, sagte er. In seiner Stimme lag Spott, in seinen Augen die Lust zuzuschlagen. Soldaten wie er waren bei Kämpfen die Ersten, die fielen. Sie waren zu ungestüm, zu zornig, zu siegesgewiss. Sie töteten ein paar Feinde, triumphierten und starben.
    »Vlad?«, sagte der Mann.
    »Mhm«, machte der hinter Jordan.
    »Meidet Männer wie ihn.«
    Für einen Moment herrschte Schweigen.
    »Thomas Ćavar«, sagte Jordan dann.
    »Ein Aufschneider, ein Feigling und ein Mörder. Soll in der Krajina geholfen haben, die zu töten, die geblieben waren. Sein Regiment war in Benkovac und Ervenik. Wir haben dort Verwandte verloren.«
    »Sie wären wohl besser gegangen.«
    »Die Krajina ist seit mehr als vierhundert Jahren auch unsere Heimat, Kroate, seit die Habsburger uns zum Schutz vor den Türken geholt haben.«
    »Und seit mehr als vierhundert Jahren versuchen wir, euch loszuwerden. Was ihr ›Krajina‹ nennt, ist seit tausend Jahren Kroatien.«
    Der Mann winkte ab. »Darum soll es jetzt nicht gehen.«
    Wie sich die Geschichten glichen, dachte Jordan. Auch seine Vorfahren, Donauschwaben, hatten die Habsburger zum

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