Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum
worden sei. Ob Jelena Janić, von der er viel erzählt habe, noch hier lebe.
»So?«, sagte Adamek.
»Erst du, jetzt die beiden.«
»Oder umgekehrt.«
Schneider lachte. Sie hatte ein intensives, zufriedenes Lachen, aber er fand es eine Spur zu laut. Er fragte sich, wie sie aussehen mochte. Die Stimme und das Lachen und das Schwäbisch klangen nach Provinz, Fröhlichkeit, Übergewicht.
Nach Hitparade, Schlagzeilen und Groschenromanen.
Der Regen war heftiger geworden, er spürte das Tropfengetrommel durch das dünne Leder links wie rechts auf dem Fußrist. Unter den Sohlen wurde es feucht.
»Was hat es mit Ćavar auf sich?«, fragte Schneider.
»Nichts.«
»Bullshit.«
Adamek kicherte.
Er erzählte von Ehringer und dessen Verbindung zu Thomas Ćavar. Den Verwandtschaftsgrad erwähnte er nicht.
»Na also«, sagte Schneider. »Ein ehemaliger Mitarbeiter vom Auswärtigen Amt, der für Kroatien zuständig war. Ein Deutscher mit kroatischen Eltern. Zwei Kroaten, die Fragen stellen. Der Kroatienkrieg.«
»Ćavar ist in Bosnien gestorben.«
»Mutmaßlich.«
»Was willst du von mir, Kollegin?«
»Mehr Informationen.«
»Es gibt keine. Es gibt keinen Fall .«
»Und wenn Ćavar damals nicht bei Kriegshandlungen umgekommen ist, sondern ermordet wurde?«
Ein Gedanke, den Adamek bisher mit Erfolg verdrängt hatte. Ein Mord in einem Krieg, der Onkel darin verwickelt, fünfzehn Jahre später tauchten Fragen auf. Oder Zeugen.
Und eine übereifrige Oberkommissarin.
»Ich muss jetzt wieder rein.«
»Na gut. Ich halte dich auf dem Laufenden.«
»Habt ihr da unten nichts Besseres zu tun?«
Schneider lachte wieder, verdrossen schüttelte Adamek den Kopf.
Auf dem Rückweg zum »Jacques« waren die Schuhe doppelt so schwer, er hatte ihr Leben erfolgreich verkürzt.
»Ach, ein Fall, der ein paar Leuten Kopfzerbrechen bereitet.«
»Ein Mord?«, fragte Marion.
Adamek zuckte die Achseln, während er dem Fisch die Wange aus der Höhle grub. Das Auge starrte ihn seltsam traurig an, ein Fado-Auge, dachte er. Vor nicht allzu langer Zeit mochte es die Fluten des Tejo durchdrungen oder auf die verschwommene Küstenlinie der Algarve geblickt haben, nun hockte ein griesgrämiger Deutscher über ihm, der sich nach einem Döner mit scharfer Sauce sehnte. Kein Anblick, mit dem man vom Diesseits in einen Verdauungstrakt wechseln wollte, er hatte Verständnis.
»Vermutlich was Politisches.«
»Du kannst nicht darüber sprechen?«, fragte Christoph.
Adamek schüttelte den Kopf.
Marion und Christoph, die besten Freunde Karolins, er Kurator im Deutschen Historischen Museum, sie Theaterkritikerin, vielleicht auch umgekehrt, manchmal war Adamek sich da nicht sicher, beide in beiden Bereichen so fundamental beschlagen, als hätten sie sich seit Kindertagen mit nichts anderem beschäftigt. Sie wohnten in Mitte, fuhren nur unter Protest in den wilden Süden Kreuzberg und Neukölln. Einzige Ausnahme: der In-Kiez Kreuzkölln an der Bezirksgrenze mit seinen Szenelokalen wie dem »Jacques«. Sie tarnten ihre Abneigung als Faulheit, gepaart mit Überheblichkeit, doch Adamek spürte, dass sie ganz einfach Angst hatten. Angst vor den von Migranten und ihren Sprachen dominierten Straßenzügen, vor den Alkoholikern und Junkies, vor der deutschen Hartz-IV-Gesellschaft, vor dem Schmutz, der steinernen Ödnis, der Verwahrlosung.
Sie fanden sich nicht zurecht in der Verwahrlosung.
»Politisch? Inwiefern?«
»Er kann doch nicht darüber sprechen, Marion«, sagte Christoph.
»Ach komm, Lorenz, nur ein Anhaltspunkt, bitte!« Ihre Wangen glühten vom Rotwein und von der Neugier, die strengen Augen leuchtend und groß. Sie trug merkwürdig aufgeplusterte Kleidungsstücke in schlammfarbenen Tönen, die billig aussahen und sehr teuer waren. Sie hatte eine wundervolle Stimme und wusste mehr, als im Brockhaus stand. Authentische Gefühle bekam man von ihr nur, wenn sie angetrunken war wie jetzt. In Karolins Kreisen mussten Gefühle erst über innere Mauern klettern, bevor sie sich zeigen konnten, die meisten blieben erschöpft auf der Strecke.
Menschen wie Adamek halfen ihnen auf und pflegten sie.
Er senkte den Blick und betrachtete das tote Auge des Fisches, das Wangenloch darunter. Er fühlte sich ähnlich ausgeweidet, ohne dass er gewusst hätte, weshalb. Lag auf einem Teller, hatte aufgehört zu zappeln.
Karolins Hand strich über seine Schulter. »Schatz?«
Er sah Marion an. »Aber es bleibt unter uns.«
»Natürlich!«
Die drei beugten
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