Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum
Schneetreiben und siebentausend Schemen, Kroaten, Slowenen, Albaner und Deutsche, die »Wir sind das Volk!« und »Kein Krieg in Kroatien!« skandierten. Drinnen sagte Margaret erbost: Sie sind ein Nationalist, Marković, und zwar von der schlimmsten Sorte!
Ich bin verzweifelt, Frau Dr. Ehringer! Wir sind den Tschetniks wehrlos ausgeliefert! Wir wollen den Frieden und ernten den Krieg!
Blödsinn! Ihr Verteidigungsminister versucht, über den amerikanischen Botschafter Waffen aus den USA zu bekommen, er lässt Kalaschnikows über die ungarische Grenze transportieren, er ruft zum Waffenschmuggel auf, er bildet Bürgerwehren. Verschonen Sie mich mit diesem scheinheiligen Getue von der verfolgten Unschuld. Sie, Tuđman, Špegelj und all die anderen gerieren sich als harmlose Demokraten, dabei sind Sie nationalistische Provokateure. Sie wollen keinen Frieden, Sie wollen die Unabhängigkeit, seit Jahren und um jeden Preis, und wenn dabei noch die eine Hälfte Bosniens mit herausspringt, umso besser.
Ich bitte Sie, von Bosnien kann keine …
Und soll ich Ihnen noch was sagen? Sie wollen die Konfrontation mit Milošević, weil Sie die Hoffnung haben, dass sich das Serben-Problem in der Krajina dann auf eine endgültige Weise lösen lässt.
»Sie mussten sie beruhigen.«
»Ja«, sagte Ehringer. Rette mich, da kommt Kusserow, hatte er ihr ins Ohr geflüstert.
Lächelnd hob Marković die Arme. »Ach, die Frauen, was …«
»Sie hatte mit vielem recht«, unterbrach Ehringer ihn. »Leider haben wir das zu diesem Zeitpunkt nicht erkannt. 1992 hat Tuđman gesagt, dass es keinen Krieg gegeben hätte, wenn Kroatien ihn nicht gewollt hätte. Und Ihr ehemaliger Innenminister Boljkovać hat letztes Jahr erklärt, dass der Krieg Absicht war.«
Er redete sich in Rage. Margarets Haltung zur Jugoslawien-Krise – und natürlich die Art, wie sie sie vertreten hatte – hatte sie die Karriere gekostet.
Und letztlich das Leben.
»In der Biographie von Hudelist können Sie nachlesen, dass die Teilung Bosniens von Anfang an eines von Tuđmans Zielen war. Angeblich hat er im Juli 1991 sogar Kohl und Genscher gegenüber entsprechende Andeutungen gemacht. Und den Slowenen hat er gesagt, Kroatien habe kein Interesse daran, dass Bosnien-Herzegowina weiterexistiere. Und dass die Anerkennung ein Fehler war, wissen wir spätestens seit Ausbruch des Bosnienkrieges.«
»Sie hat den Krieg in meiner Heimat beendet!«
Ehringer zuckte erschöpft die Achseln.
Die deutsch-kroatische Legende.
Kohl und Genscher hatten die Anerkennung gegen alle internationalen Widerstände Ende 1991 durchgepeitscht. Also wurde dieser Mythos gepflegt, wenn er auch allmählich Risse bekam. Denn die anderen hatten recht behalten, jene, die vor einer frühen Anerkennung gewarnt hatten. Die Amerikaner, die Franzosen, die Engländer. Der bosnische Präsident Izetbegović, UNO -Generalsekretär Perez de Cuellar, EG -Vermittler Lord Carrington, Hansjörg Eiff, der deutsche Jugoslawien-Botschafter, Karl Lamers, der außenpolitische Sprecher der CDU -Fraktion im Bundestag, all die anderen.
Margaret.
Ihr gebt das wichtigste Druckmittel gegen die Kroaten und die Serben aus der Hand und provoziert eine Kettenreaktion!
Ehringer schloss die Augen.
Das schreckliche Frühjahr 1992.
Die Serben hatten Anfang des Jahres erreicht, was sie erreichen wollten: die Kontrolle über die serbischen Siedlungsgebiete in Kroatien und den UNO -Schutz des Status quo. Sie hatten den Krieg nicht fortsetzen müssen.
Nein, die Anerkennung hatte nicht zum Ende des Kroatienkrieges geführt, sondern zum Unabhängigkeitsreferendum in Bosnien. Die Serben boykottierten die Abstimmung, folglich setzten sich die bosnischen Kroaten und die Muslime mit ihrem Wunsch nach Eigenstaatlichkeit durch. Ein paar Tage später erklärte das Parlament die Unabhängigkeit. Kurz darauf schlugen die bosnischen Serben, die seit Monaten auf die eigene Autonomie hingearbeitet hatten, los und besetzten zwei Drittel des Landes.
Der bosnische Albtraum begann.
Die deutsche Anerkennungspolitik hatte katastrophale Folgen gezeitigt. Deshalb, davon war Ehringer mittlerweile überzeugt, war Hans-Dietrich Genscher im Mai 1992 als Außenminister zurückgetreten.
Da hatte Margaret bereits nicht mehr gelebt.
Er schöpfte Atem, öffnete die Augen.
Ja, sie hatte recht gehabt, mit fast allem, er nicht. Und doch war sie selbst in ihrer Partei isoliert gewesen, schon im Februar 1991, als die Demonstration in Frankfurt stattgefunden
Weitere Kostenlose Bücher