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Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Titel: Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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keine Leiche, weder Vermissten- noch Todesanzeige –, sei es durchaus möglich, dass er sich der Verhaftung entzogen habe, indem er seinen vermeintlichen Tod inszeniert habe. Und weil die Familie nie nach ihm habe suchen lassen, müsse man davon ausgehen, dass sie informiert sei.
    Und vielleicht auch weitere Menschen.
    »Gute Freunde wie Sie, Dr. Ehringer.«
    »Was ich weiß, habe ich Ihnen gesagt.«
    »Wer ist Lorenz?«
    Ehringer lächelte kühl. Die beiden Telefonate zum Thema, die Marković’ Leute abgehört hatten – mit Lorenz, mit Markus Bachmeier. »Mein Neffe.«
    »Lorenz Adamek. Er ist heute in Rottweil eingetroffen. Ermittelt er offiziell?«
    »Das müssen Sie ihn selbst fragen.«
    »Die Polizei hinzuzuziehen war unvernünftig, Dr. Ehringer. Es versetzt die Beteiligten in Stress. Sie könnten die Geduld verlieren. Jemand könnte … zu Schaden kommen.«
    »Verstehe.«
    »Rufen Sie den Vater an, um das zu verhindern.«
    »Ich bin gegen Drohungen allergisch.«
    Marković seufzte. Geduldig spießte er ein Kartoffelstück auf, kaute lange. »Das Telefonat mit Markus Bachmeier … ein seltsames Gespräch, finden Sie nicht?«
    »Überhaupt nicht.«
    »Wir haben es von Stimmexperten analysieren lassen. Bachmeier hatte Angst. Und er hat gelogen. Warum, Dr. Ehringer?«
    »Ihre Experten hören die Flöhe husten.« Ehringer legte Messer und Gabel zur Seite. Er hatte einen furchtbaren Fehler begangen.
    Der Invalide hatte den Gesunden unterschätzt.
    Er hatte Markus Bachmeier in Gefahr gebracht.
    Marković’ Telefon summte, er entschuldigte sich und zog es hervor.
    Das Gespräch war kurz, Ehringer verstand nur dobro , »gut«.
    »Wieso kommen Sie jetzt damit?«, fragte er, als Marković das Handy wieder einsteckte. »Nach fünfzehn Jahren?«
    Marković erwiderte, eine Journalistin habe ihn aufgesucht und zu Ćavar befragt. Sie sei sehr hartnäckig. Natürlich könne er ihr nicht verbieten, Nachforschungen anzustellen. Leider könne er sie aber auch nicht schützen, falls sie tatsächlich auf Ćavar stoße. Man müsse dann mit dem Schlimmsten rechnen.
    »Machen Sie sich nicht lächerlich, Marković!«
    »Sie waren sein Freund, Dr. Ehringer. Es ehrt Sie, dass Sie ihm nichts Böses zutrauen.«
    »Der Junge …«
    »… war im Krieg«, unterbrach Marković. »Er ist zwischen 1991 und 1995 wiederholt nach Kroatien gereist, um zu kämpfen.«
    Und der Krieg veränderte einen Menschen, dachte Ehringer.
    Er selbst war Zeuge der Veränderung geworden. Jener Thomas, den er im Februar 1991 kennengelernt hatte, war nicht mit dem vom Frühling 1995 zu vergleichen, als er ihn zum letzten Mal besucht hatte. Der eine war ein freundlicher, fröhlicher, etwas naiver, impulsiver Schlaks gewesen, der andere ein düsterer, schweigsamer, schon traumatisierter Mann, der sich die eine Sehnsucht – endlich eine Heimat zu haben – erfüllen musste, indem er die andere aufs Spiel setzte – mit seiner großen Liebe Jelena glücklich zu werden.
    »Sie glauben tatsächlich, dass er noch …« Ehringer sprach nicht weiter.
    In der Fensterscheibe spiegelten sich die Lichter des Speisesaals. Zwei Schatten davor, Marković und er.
    Und ein unsichtbarer dritter.
    Thomas Ćavar lebte.
    »Was meinten Sie mit ›Schändliches‹?«, flüsterte Ehringer.
    »Seine Verbrechen«, erwiderte Marković.

22
    DONNERSTAG, 14. OKTOBER 2010
    ROTTWEIL
    Lorenz Adamek saß in Milo Ćavars Wohnzimmer und blickte in einen kleinen Garten hinaus, in dessen Mitte fast reglos zwei pummelige Mädchen hockten, die Köpfe dicht zusammen, als erzählten sie einander traurige Geschichten.
    Geschichten von einem kleinen scheuen Schwesterlein, das so ganz anders aussah als sie selbst.
    Anna, Julia und Ljilja.
    Er wiederholte den Namen im Geiste, er tat sich schwer mit der Aussprache. Ljilja. Auch das, dachte er, hatte ihm diesen Krieg so fremd gemacht. Dass er die Namen der Menschen und der Orte nicht aussprechen konnte. Die Zeichen auf und in den Buchstaben nicht verstand.
    Er hatte nach der dritten Tochter gefragt. Sie sei bei Freunden, hatte Milo Ćavar erwidert.
    Ljilja, dachte Adamek und beschloss, sie Lilly zu nennen. Lilly, die Tochter von Thomas – und Jelena?
    Sie waren zu dritt, Ćavars Frau war einkaufen. In der Luft lag ein vager Geruch von verbranntem Holz, der ihn anfangs irritiert hatte. Die Erklärung war einfach: Vermutlich war Milo am Nachmittag auf Bachmeiers Hof gewesen.
    Die Doppelhaushälfte befand sich in einer Neubausiedlung am Rande Rottweils.

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