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Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Titel: Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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Bachmeier sich. Er holte eine Schubkarre und eine Schaufel aus dem Stall, trat an den Rand des angrenzenden Feldes und begann zu graben.
    Da begriff Jordan.
    »Was zum Teufel tut er?«, fragte Igor.
    »Er hebt ein Grab aus.« Jordan setzte das Fernglas ab und griff nach dem Mobiltelefon. Es war Zeit, Marković mitzuteilen, dass sich der Plan geändert hatte.
    Anschließend würde er an einer Beerdigung teilnehmen.
    »Ein Grab für einen Hund«, sagte er.
    Durch den Wald ging Jordan zum Hof hinunter. Die Sonne war jenseits der Hügel verschwunden, das Tal lag in weichem Licht. Er gab sich keine Mühe, leise zu sein. Bachmeier, davon war er überzeugt, wusste, dass er kommen würde. Auch deshalb war er geblieben, nicht nur, um den Hund Methusalem zu begraben.
    Das Telefonat mit Marković hatte nicht lange gedauert. Er war zu Besuch bei »einem alten Freund« in Berlin und hatte nicht offen reden können. Gut, hatte er gesagt. Tut es.
    Der Stall schob sich vor Jordans Blick. Dann hatte er den Hof erreicht und betrat den Vorplatz.
    Bachmeier bemerkte ihn nicht. Noch immer schaufelte er Erde in die Schubkarre. Der Boden war hart, Bachmeier langsam. Jordan hörte ihn keuchen, das hellblaue Polo-Hemd war durchtränkt von Schweiß.
    Jetzt sah er auf, hielt inne. Als sich sein Atem beruhigt hatte, sagte er: »Was wollen Sie von mir? Der Tommy ist tot.«
    »Ich möchte helfen.«
    »Helfen?«
    Jordan wies auf das halb ausgehobene Grab.
    Bachmeier blickte lange darauf, dann sagte er: »Er hatte ein schwaches Herz, hat sich bei der Explosion zu sehr erschreckt.«
    Jordan nickte. »Er hieß Methusalem, oder?«
    »Das wissen Sie auch?«
    »Ja.« Jordan zog die Jacke aus, warf sie auf den Grasstreifen zwischen Straße und Feld.
    »Sie wissen alles.«
    »Wo Thomas ist, weiß ich nicht.«
    »Dabei hab ich’s Ihnen schon dreimal gesagt.«
    Jordan langte nach den Griffen der Schubkarre. »Wohin?«
    »Hinter’s Haus. Bei den Gemüsebeeten.«
    Die Schubkarre war schwer, die Anstrengung tat gut. Langsam schob er sie am Haus vorbei. Er freute sich darauf, Igor beim Bau eines kleinen Bauernhofes in der West-Herzegowina zu helfen. Sie würden ein im Sommer kühles, im Winter warmes Steinhaus mit kleinen Fenstern und Kamin bauen, in dem Igor sich vor den Erinnerungen verbergen konnte.
    Ein Haus, in das Erinnerungen nicht hineinkamen.
    Jordans Blick fiel auf die Hundehütte. Er glaubte nicht an das Schicksal, auch nicht an einen Gott, die Welt war karstig und sinnentleert und voller Hornvipern wie der Velebit. Wenn er an etwas glaubte, dann an den Menschen. Jeder verfolgte ein Ziel, und weil er es erreichen wollte, war er bereit, ihm alles andere unterzuordnen. Und das hieß auch: zu akzeptieren, was unumgänglich war.
    Er hatte den Hund verschont und doch getötet.
    So, dachte er, während er die Schubkarre ausleerte, war es eben.
    Er rollte die Karre zum Stall, fand eine zweite Schaufel, kehrte zu Bachmeier zurück.
    Sie arbeiteten schweigend, doch aus jedem Blick, jeder Bewegung Bachmeiers sprachen die Angst und die Trauer und die Wut eines Menschen, dem kein Ziel mehr geblieben war, nur der Tod.

21
    DONNERSTAG, 14. OKTOBER 2010
    BERLIN
    Das Andalusien-Porträt, Ehringers Lieblingsfoto von Margaret.
    In den ersten Tagen hatte sie sich merkwürdig unsicher durch Sevilla bewegt, wie durch einen Nebel aus Eindrücken und Gefühlen. Ihre Antworten immer einen Moment zu spät, ihre Blicke unruhig, die Bewegungen ziellos und schwer.
    Der erste Urlaub in vielen Jahren.
    Ich mag Urlaub nicht, hatte sie immer gesagt. Nichts tun, wie langweilig.
    In Spanien hatte Ehringer verstanden, worin das Problem lag. Die eine Margaret war in Bonn geblieben, eine andere, unbekannte erwartete sie in Andalusien. Der Übertritt fiel ihr schwer, sie vertraute der anderen nicht. Sie irrte herum und fand sich nicht gleich.
    An einem dieser Tage war das Foto entstanden.
    »Sevilla«, antwortete er.
    »Ich erinnere mich.« Ivica Marković, der auf dem Sofa hinter ihm saß, seufzte. »Wie grausam das Leben ist.«
    Ehringer wandte sich um. Marković war, was er war, doch sein Mitgefühl kam von Herzen. Er hatte Margaret verehrt. »Sie mochte Sie. Weiß Gott, warum, aber sie mochte Sie.«
    Marković lachte. »Das war nicht immer zu spüren.«
    Ehringer nickte.
    Ein Samstag im Februar 1991, ein überfüllter Raum im Frankfurter Römer, Politiker, Diplomaten, Journalisten, Menschenrechtler, Kroatien-Lobbyisten wie Ivica Marković. Draußen, vor den Fenstern, dichtes

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