Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum
bedauere das Urteil und hoffe in der Berufung auf Freispruch. »Das ist das Spannungsfeld, in dem wir Kroaten uns bewegen. Wir verurteilen Kriegsverbrecher und feiern sie zugleich als Helden. Wir sind gute Katholiken und töten Nestbeschmutzer.«
»Goran haben sie in Ruhe gelassen«, wandte Ahrens ein.
»Sie haben mich am Leben gelassen.«
»Alles andere haben sie ihm genommen«, sagte Irena. »Zwei Ehefrauen, Freunde, Auftraggeber.«
»Du hast da …« Vori tupfte Irenas Kinn mit der Serviette ab. »Öl.«
»Du bekommst keine Aufträge mehr?«
Vori schüttelte den Kopf, Irena sagte: »Schau bei Wikipedia nach. ›Persona non grata bei den kroatischen Printmedien‹.«
»Wozu brauche ich Print?« Vori deutete mit dem Finger auf das schwarze MacBook, das vor ihm auf dem Tisch lag. »Ich habe mein Blog.«
»Und wer bezahlt dich dafür? Niemand.«
»Da vridilo je«, sagte Vori und lächelte zum ersten Mal.
»Da vridilo je«, sang Oliver Dragojević über ihnen, »das war’s wert«.
»Ich hasse seinen Zynismus«, sagte Irena. »Er ist so kalt, aber auch selbstmitleidig. Übernimm endlich Verantwortung für dein Leben, Goran, damit es nicht so weitergeht wie die letzten fünfzehn Jahre.«
»Die letzten fünfzehn Jahre waren nicht schlecht. Zwei wunderbare Frauen, ein wichtiger Preis …«
Irena schüttelte verärgert den Kopf. Vori werde seit Mitte der Neunziger verleumdet, bespitzelt, verhaftet, tags darauf wieder freigelassen. Gerüchte klebten an ihm wie verfaulende Blutegel. In den Achtzigern habe er angeblich auf der Gehaltsliste der UDBA gestanden. In den Neunzigern sei er wegen Wahnvorstellungen in psychiatrischer Behandlung gewesen. Er habe Steuern hinterzogen, Kinder misshandelt, seine Ehefrauen geschlagen. Er sei Stammgast in Bordellen, homosexuell, drogensüchtig. Er habe im Krieg für die Serben Morde begangen. »Hab ich was vergessen?«
»Ich glaube nicht.« Vori hatte die schmalen weißen Hände auf dem Laptop verschränkt, wirkte entspannt, aber auch ein wenig desinteressiert. Ein Mann, dem man nichts mehr nehmen konnte, weil er nichts mehr besaß. Der sich frei fühlte, nicht verloren.
»Wer lanciert solche Geschichten? Marković?«
Irena hob die Hände, ließ sie fallen. »Marković, das Innenministerium, der Geheimdienst, die Veteranenverbände, die letzten Tuđman-Treuen, die Rechtsnationalisten, was weiß ich.«
»Egal«, sagte Vori. »Es werden immer weniger.«
»Es kommen neue dazu.«
Er zwinkerte Ahrens zu. »Die katholische Kirche.«
»Er bereitet eine Artikelserie über die Verstrickung des Klerus in die Ustaša-Verbrechen vor.«
Die Musik hatte gewechselt. Keine Schlager mehr, sondern Pop – Yammat, Ahrens’ kroatische Lieblingsband. Das Problem war einfach und komplex zugleich. Vori ließ sie an Sex denken, Sex an Liebe, Liebe an einen verzweifelten Mann, der Mann an ein winziges Mädchen, das am Morgen des 8. Januar 1998 stumm geblieben war, das Mädchen an ihre Schuld. Wenn sie Vori in die Augen sah, sah sie diese Schuld.
Sie hatte noch keine Lösung für das Problem.
»Das Schlimmste war das mit den Huren«, sagte Irena. »Alles andere war so lächerlich oder weit hergeholt oder einfach egal . Aber Stammgast bei Huren …«
Endlich begriff Ahrens – Irena war eine der beiden Ehefrauen gewesen.
»Erfunden wie alles andere«, sagte Vori sanft.
»Hol mir noch ein Bier, Goran, ja?«
Er stand auf und ging zur Bar. Ein älterer Mann rief ihm einen Gruß zu, Vori hob die Hand, erwiderte etwas, das im Stimmengewirr unterging.
»Ich habe ihm nicht geglaubt«, sagte Irena.
»Das war die Absicht, nehme ich an.«
Irena nickte.
»Liebst du ihn noch?«
»Ach, nur ein bisschen. Ist ja lange her, neun Jahre.« Irena schob die Brille, die nach vorn gerutscht war, zurück.
»Hast du ihn deshalb vor mir versteckt?« Ahrens lächelte entschuldigend. Erst Oliver Dragojević, dann Yammat, dazu das Bier …
Vori kam mit drei weiteren Gläsern zurück. »Nino ist hier.« Im direkten Licht der Wandlampe wirkte sein Gesicht grau und müde.
»Nino ist Ressortleiter beim Večernjak «, sagte Irena. »Hat Goran fünf Jahre lang nicht mit dem Arsch angeschaut.«
Vori zuckte die Achseln. »Er hat einen hässlichen Arsch.«
»Dabei mögen die Österreicher unseren Helden.«
»Der Večernji list gehört Styria«, erklärte Vori.
»Ich weiß.«
Der kroatische Zeitungsmarkt war sehr übersichtlich aufgeteilt. Die Styria Media Group aus Graz hatte den Večernjak gekauft, die WAZ
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