Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum
-Gruppe besaß neunundvierzig Prozent der Europapress Holding, Eigentümerin von Jutarnji list, Slobodna Dalmacija, Globus, Playboy und Cosmopolitan .
»Reporter ohne Grenzen Österreich hat ihm den Press Freedom Award verliehen«, sagte Irena.
»Der einzige Preis meines Lebens.«
»Seitdem denkt er, er ist es ROG und der Welt schuldig, sich und die Menschen, die ihn lieben, für die Wahrheit zu opfern.«
Vori hob das Glas, sie stießen an. »Auf die Wahrheit.«
»Scheiße«, sagte Irena. »Die Menschen, die dich lieben, sind wichtiger als die Wahrheit.«
»Auch die werden immer weniger.«
»Auch da kommen neue dazu.«
Sie lachten.
Irena wischte sich Tränen unter den Brillengläsern weg. »Yvonne will wissen, warum ich dich vor ihr versteckt habe.«
Vori lächelte. »Hat sie mich denn gesucht?«
Ja, dachte Ahrens und spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss.
»Sie ist ein bisschen wie du, aber eben nicht ganz. Für sie ist es ein Job, für dich eine Mission. Sie will ihren Job gut machen. Dann möchte sie das Licht ausschalten und in Ruhe schlafen. Sie wird auf der Strecke bleiben, Goran.«
»Sie ist erwachsen.«
»Sie ist fremd hier und ein bisschen naiv.«
»Sie sitzt mit euch am Tisch«, sagte Ahrens.
Irena und Vori sahen sie an.
Sie lächelte. »Sprechen wir über Zadolje.«
»Nicht jetzt«, erwiderte Vori und stand auf. »Kannst du das …?«
»Natürlich«, sagte Irena.
Vori sah Ahrens an. »Komm. Wir haben eine Verabredung.«
24
DONNERSTAG, 14. OKTOBER 2010
NAHE ROTTWEIL
Tapferer, dicker Mägges, dachte Saša Jordan.
Lag weinend auf dem Boden und verriet den Freund nicht.
Sie hatten ihn ins Wohnzimmer geführt und gefesselt auf eine Plastikplane gezwungen, die Igor im Stall gefunden hatte. Wer schon liegt, kann nicht mehr fallen, hatte einer der Aufseher in Omarska gesagt. Auch von den Serben konnte man lernen.
»Bald ist er so weit«, sagte Igor.
»Gut.«
Jordan saß am Fenster und behielt die Schotterstraße im Auge, Igor kümmerte sich um Bachmeier, der hohe, kindliche Laute ausstieß, nur noch aus Schmerzen und Angst bestand.
Und aus Willen.
Ein wahrer Freund, dachte Jordan.
Allmählich sank die Dämmerung über das Tal. Vor den Linsen des Fernglases geschah nichts. Hin und wieder drang ein ferner Traktorenmotor an Jordans Ohr, sonst war es still, bis auf die dumpfen Schlaggeräusche und das Wimmern hinter ihm.
Er wusste, wie Bachmeier die Schmerzen und die Angst ertrug, so, wie er selbst und Igor Omarska ertragen hatten: mit Hilfe der Erinnerungen. Nur Erinnerungen machten das Leid erträglich und rechtfertigten, dass man so viel erduldete.
Sie hatten an das Briševo ihrer Kindheit und Jugend gedacht, Bachmeier würde an die Jahre mit Thomas denken. Helle Sommertage auf den Wiesen und in den Wäldern, Fußball auf dem staubigen Vorplatz des Hofes. Im Heu küssten sie die ersten Mädchen, in der Schule schoben sie einander Spickzettel zu. Dann brachte Thomas die schöne Jelena mit, von nun an waren sie zu dritt, der deutsche Kroate, die Serbin, der dicke Mägges.
Vielleicht war er ja selbst ein wenig verliebt …
Die Loyalität verbot ihm solche Gefühle.
Thomas, der beste, der einzige Freund. Es lohnte sich, für ihn zu leiden.
Schleier der Erinnerung. Was dahinter geschah, durch Igor, sah Bachmeier nicht. Er spürte es nur.
Irgendwann würde er abwägen. Die Erinnerung und Thomas – oder Theresa und Nina. Ein ferner Freund oder die Ehefrau und die Tochter.
Sie selbst entscheiden, ob Sie leben oder sterben, hatte Jordan gesagt.
Natürlich würde Bachmeier sich am Ende für das Leben entscheiden, für Frau und Tochter. Er müsste nur reden, dann würden der Schatten hinter dem Schleier der Erinnerung und mit ihm die Schmerzen verschwinden.
Nur reden.
Thomas würde ihm verzeihen. Wenn er der beste, der einzige Freund war, würde er verstehen und verzeihen.
Reden oder sterben, Tommy, verstehst du?
So ungefähr würde Bachmeier denken.
Er wusste nicht, dass er in einen Krieg geraten war, in dem er nicht überleben durfte. Der Schatten Igor würde erst verschwinden, nachdem er ihm die Augen für immer geschlossen hatte.
»Wir haben vielleicht nicht mehr viel Zeit«, sagte Jordan.
In der Ferne, jenseits der Zufahrt zum Tal, flackerte seit Sekunden die Korona von mehreren Blaulichtern über den Baumkronen. Vier, fünf Einsatzwagen, die auf der Landstraße von Rottweil aus in Richtung Westen fuhren. Gebannt folgte er ihnen mit dem Blick.
Igor trat neben
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