Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum
nervös, Vori gelassen. Eine Heizungsanlage brummte, in den Wänden rauschten Wasserrohre. Es war drückend schwül.
Slavko war etwas kleiner als Ahrens und kräftig für einen Mittsiebziger, den Bauchansatz verbarg er unter einem ausgeleierten roten Pullover. Das Gesicht war wulstig, die Stirn runzlig und breit, das graue Haare fingerlang.
Er sprach nur Kroatisch, Vori übersetzte, wenn nötig.
Ahrens zog eine Kopie des Artikels aus der Tasche. »Wissen Sie, wer das ist? Der Mann mit der Pistole?«
Slavko hielt den Zeitungsausschnitt in den Schein einer Deckenlampe. »Ein Kamerad aus meiner Kompanie. Der Deutsche.«
»Der Deutsche?«
»Ein Kroate aus Deutschland, Thomas.«
Ihr Blick wanderte von Slavko zu Vori. Beide sahen sie an.
Der Mörder kam aus Deutschland.
»Aus Deutschland bedeutet, er war Deutscher? Deutscher Staatsbürger?«
»Ja.«
Das hatte nun wirklich Pepp, dachte sie. »Wie heißt er mit Nachnamen?«
»Fällt mir im Moment nicht ein. Wir haben ihn nur ›Kapetan‹ genannt.«
»Er war der Kapetan Ihrer Kompanie? Ihr Captain?«
Über die unruhigen Lippen huschte ein Schmunzeln. »Nein, nein, er war nur ein einfacher Soldat, nicht einmal ein, wie sagt man bei euch, Feldwebel . Er war der Kapitän unserer Fußballmannschaft, deswegen ›Kapetan‹. Er sagte, ein Fußballteam braucht einen Kapitän, wenn ihr wollt, mache ich das. Er war einer der Besseren von uns, er war groß und ein guter Läufer.«
Am Ende des Ganges erklang ein Rascheln. Hastig drehten sie die Köpfe, hielten den Atem an, warteten. Ahrens’ Herzschlag raste.
Als es still blieb, rückten sie näher zusammen.
»Die Fußballmannschaft des 134. Regiments?«
»Unserer Kompanie. Wir haben manchmal gegen andere Kompanien gespielt, wenn gerade nichts los war. Ich war Verteidiger, ich konnte links wie rechts schießen, wir haben trotzdem oft verloren.« Er gab ihr die Kopie des Artikels zurück. »Das Foto wurde in Zadolje aufgenommen, am Tag der Morde. Viel mehr kann ich dazu nicht sagen, ich habe nichts gesehen. Ich war feige damals. Ich bin es noch.«
»Gab es den Befehl, die Leute zu töten?«, fragte Vori.
»Nein.« Der Befehl hatte gelautet, die Häuser niederzubrennen, die Zurückgebliebenen zu vertreiben. »Aber manche Kameraden waren voller Hass auf alles Serbische oder traumatisiert, oder sie waren zu fanatischen Nationalisten geworden, vor allem die vom HVO , und so war klar …«
Vori unterbrach ihn: »Vom HVO ? Soldaten vom HVO waren in Zadolje?«
»Zwei Trupps, vielleicht acht, neun Mann. Wir vom Heimatschutz, Sonderpolizisten aus Zagreb und der HVO .«
»Der HVO ?«, fragte Ahrens.
Der »Kroatische Verteidigungsrat«, erklärte Vori, die 1992 gegründete Armee der bosnischen Kroaten. Anfang August 1995 habe der HVO mitgeholfen, das bosnische Bihać zu befreien, doch in Kroatien habe er nichts zu suchen gehabt. Offiziell seien keine Soldaten des Verteidigungsrats in Zadolje gewesen.
»Jedenfalls … Manche Kameraden warteten nur auf solche Gelegenheiten, und alle wussten das«, fuhr Slavko fort. »Die Offiziere hielten sie nicht zurück. Niemand hielt sie zurück. Auch das war bekannt.«
»Wissen Sie, wer die Morde begangen hat?«
»Einer der Sonderpolizisten aus Zagreb gab am Abend damit an, dass er drei der Leute in ihrem Kellerversteck getötet hatte.«
»Bebić«, sagte Ahrens.
»Nino Bebić, ja. Wissen Sie, was ein Srbosjek ist?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Erklär es ihr.«
»Ein ›Serbenschneider‹«, sagte Vori. »Ursprünglich ein Spezialmesser für die Getreideernte. Du kannst dir vorstellen …«
»Nein«, sagte Ahrens.
»Man nennt den Srbosjek auch ›Kehlenschneider‹«, sagte Slavko.
»Die Ustaše haben ihn in Jasenovac benutzt, um in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Insassen zu töten, vor allem Serben. Sie haben ihnen damit die Kehle durchgeschnitten.« Vori hob die Hände, um die Beschaffenheit des Messers zu erklären. Eine Art halber Handschuh aus Leder, der um Handballen und Handgelenk geschlungen wurde, die Finger blieben frei. Aus der Unterseite ragte eine zwölf Zentimeter lange, leicht gekrümmte Klinge.
»Ein Garbenmesser«, sagte Ahrens.
»Aus deutscher Produktion, Gebrüder Gräfrath aus Solingen, du findest ein Foto auf meinem Blog. Die Ustaše hatten keine Gaskammern, sie brauchten also etwas, das ähnlich effektiv war. Der Srbosjek war sehr effektiv, man schaffte Hunderte Morde an einem Tag. Aus Jasenovac ist eine Wette überliefert: Wer tötet in
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