Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum
einer Nacht die meisten Gefangenen mit dem Srbosjek? Ein Franziskanerpriester aus der Herzegowina gewann, Petar Brzica, man zählte am Ende 1360 Tote. Andere kamen nur auf elfhundert.«
»Die Zahlen könnten übertrieben sein«, sagte Slavko. »Ich habe gehört, dass Brzica mit unter siebenhundert gewonnen hat.«
»Siebenhundert Morde in einer Nacht«, flüsterte Vori.
Slavko zog ein Taschentuch aus der Hose und wischte sich über die Stirn. »Ich werde gleich gehen, fragen Sie schnell.«
»Hat Bebić die Leute von Zadolje mit dem Srbosjek getötet?«
»Ja.«
»Und Thomas? Der ›Kapetan‹? Hat …«
»Ćavar«, unterbrach Slavko sie. »So heißt er. Thomas Ćavar aus der Nähe von Stuttgart.«
Sie dachte an die Worte von Ivica Marković. Vielleicht hat es ihn ja nie gegeben, wer weiß? Vielleicht ist er ein Mythos? Ein Mythos mit Vor- und Nachnamen. Marković musste sie längst kennen, er war ihr Meilen voraus. Vermutlich wusste er auch, wo Ćavar sich aufhielt.
»Hat er die anderen drei Morde begangen?«
»Ich weiß es nicht. Zuzutrauen war es ihm. Er war traumatisiert, er sprach in dieser Zeit kaum noch. Er hatte Angst, war verzweifelt, im nächsten Moment konnte er vor Wut explodieren und sich mit den Kameraden schlagen. Nur beim Fußball verhielt er sich noch normal. Er war nicht für den Krieg gemacht.«
Slavko war am Tag nach den Morden angeschossen und ins Lazarett nach Split gebracht worden. Als er drei Monate später entlassen wurde, war der Krieg beendet. Er ließ sich nach Slawonien versetzen, in eine Schreibstube, sah Thomas Ćavar nie wieder, hörte nie mehr von ihm.
»Gebt mir ein paar Minuten«, sagte er und reichte ihnen die Hand.
Er eilte den Gang hinauf, Sekunden später war er durch eine Tür verschwunden.
Vori schwieg, während Ahrens sich hastig Notizen machte. Der Mörder Deutschkroate, dachte sie, ein deutscher Staatsbürger vor dem Strafgerichtshof … Einer der letzten Verbrecher des jugoslawischen Krieges, der vielleicht angeklagt werden würde, war Deutscher .
»Gehen wir«, sagte sie.
Vori zog das Streichholz aus dem Schlitz im Lichtschalter. »Jetzt hast du beide Namen.«
»Ja.«
»Markovic und seine Leute werden das bald wissen.«
Langsam folgten sie dem Gang zur Tür. Ahrens wusste, was Vori damit ausdrücken wollte.
Die nächste Warnung.
Auch Marković selbst warnte sie erneut in dieser Nacht.
Als sie aus dem Mamutica nach draußen traten, lag ein orangefarbener Schimmer über der Straße. Der Wind wehte aufgeregte Stimmen und den Geruch von verschmortem Gummi zu ihnen herüber. In der Nähe heulten Sirenen.
Sie eilten zur Treppe am Ende des breiten Gehwegs. Am Straßenrand darunter brannte ein Auto.
Ein grüner Opel Kadett.
Im Sicherheitsabstand hatten sich Schaulustige um die Brandstätte versammelt. Ein paar Männer versuchten, die Flammen mit Löschgeräten zu ersticken.
Keine Bombe, dachte Ahrens flehend, während sie die Hand in Voris Arm krallte. Keine Bombe … Eine Bombe hätten sie doch gehört, selbst im Keller.
»Nicht hinschauen«, sagte Vori. »Rechts vom ersten Baum.«
»Slavko?«
»Ja.«
Sie hatten keine Bombe gebraucht. Sie hatten sein Auto abgefackelt, das reichte, damit Slavko verstand: Beim nächsten Mal sitzt du drin.
Unauffällig bewegte Ahrens die Augen, bis sie den Mann im roten Pullover sah. Er blickte nicht herüber.
»Komm«, sagte Vori.
Sie griff nach seiner Hand, eilte neben ihm die Treppe hinunter. Als sie auf halber Höhe erneut in Slavkos Richtung blickte, war er verschwunden.
Vori brachte sie nach Hause. Er parkte auf dem Gehweg, vor dem Durchgang zum Hof, stellte den Motor ab. »Er wird Geld für ein Auto brauchen. Ein paar Hundert Euro vielleicht.«
»Ich sorge dafür, dass er’s bekommt.«
»Es ist nicht deine Schuld, falls du das denkst.«
Sie musterte ihn überrascht, dann stieg sie aus und ging in ihre Wohnung hinauf. In der stillen Dunkelheit am Fenster stehend, hörte sie die Stimme eines verzweifelten Mannes, immer wieder fiel dieses Wort, Schuld, und sie versuchte, nicht daran zu denken, und plötzlich war es ganz einfach, stattdessen dachte sie: Ich habe dich gefunden, Kapetan.
Thomas Ćavar.
32
DONNERSTAG, 14. OKTOBER 2010
ROTTWEIL
Natürlich war alles anders gekommen.
Lorenz Adamek lag bäuchlings auf einer Massageliege, nackt bis auf ein schmales Handtuch, das die untere Hälfte seines haarigen Hinterns verbarg, die obere war entblößt.
Dort fuhrwerkten gerade kräftige Hände
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