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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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soeben an die Macht gekommen. Dolly war ständig um ihren Vater herum, so besorgt war sie. Irgendwann habe ich gesagt, es gäbe ja noch einen zweiten Wahlgang und warum jetzt alle so fertig sind. Dolly legte sich ihren Zeigefinger auf die Lippen, der Alte schaute mich verwundert an, dann ging er hinaus. Ob ich was falsch gemacht habe, fragte ich die Dolly, und wollte mich neben sie setzen. Zuerst rückte sie weg, stand auf, und ich dachte, jetzt geht sie auch hinaus, und die ganze Familie plärrt irgendwo in einem anderen Zimmer. Dann nahm sie aber meinen Kopf, küsste mir das Gesicht ab und begann mir ins Ohr zu zischeln. Ich verstand nur Bahnhof und schaute zum Bildschirm hin, weil ein Kommentator in die Kamera sprach. Ich nahm Dollys Hände von meinem Kopf weg, stand auf und ging zum Fernseher, suchte den Knopf zum Abdrehen, doch Dolly schnappte die Fernbedienung und knipste aus.
    »Jetzt werden meine Eltern weggehen, und ich werde mitmüssen.« Kaum hatte sie das gesagt, kamen die Eltern wieder ins Zimmer und wollten, dass ich gehe. Sie schmissen mich praktisch raus. Dolly gab mir vor ihnen einen Kuss zum Abschied und draußen noch einen, aber dabei war sie auf einmal total zerstreut und lief sofort zu ihren Alten zurück. Ich stand auf der Gassen wie ein Trottel.
    Daheim ist meine Laune immer mieser geworden, ich war
sauer auf alles. Ich hab die Musik aufgedreht: One hundred years . Aber The Cure war mir auch wurscht. Ich legte Vatis Escamilloarie auf, Toréador en garde , jaja, auf in den Kampf. Meine Mutter rief an, und mir fiel ein, dass ich vergessen hatte, zu ihr zu gehen. Sie blieb still am Telefon, dann hörte ich sie schlucken. Ich entschuldigte mich und wollte noch zu ihr fahren. Bin aber auf dem Sofa eingeschlafen und dann um drei ins Bett gegangen. Verpfuschter Tag.
    Heute war Dolly nicht in der Schule, und jetzt meldet sich niemand in der Nedergasse. Ich probiere es immer wieder. Ich komme mir wie ein Depp vor. Ich bin ein Depp, was bin ich doch für ein Idiot. Scheißtagebuch.
    30.
    Nachdem Krieglach sich wieder aufgerichtet hatte, warf er noch einen abschätzigen Blick auf den nunmehr mit geschlossenen Augen daliegenden toten Bonker, drehte sich um und kehrte zu seinem Tisch zurück.
    »Komm, Emmy, wir gehen.«
    Judith Zischka folgte dem Ehepaar auf die Straße. Krieglach wollte sich nicht von ihr ansprechen lassen, ging mit seiner Frau eingehängt weiter und weiter, während Judith daneben herlief. Als sie allerdings vom Club Diderot zu reden begann und sagte: »Wir vom Club haben einen Anschlag auf Sie vor«, blieb Krieglach abrupt stehen, seine Frau strauchelte.
    »Mir scheint, Sie sind die Zischka vom Signal.«
    »Bin ich.«
    »Rufen Sie mich in einer Stunde an. Emmy!«
    Emmy Krieglach kramte eine Visitenkarte aus ihrer Handtasche und wollte sie Judith geben, doch Krieglach nahm
sie ihr aus der Hand, holte seinen Filzstift hervor und zeichnete ein grünes Rufzeichen neben die Telefonnummer des Ateliers.
    Judith Zischka rief wie vereinbart an und wurde für den fünften Mai in sein Atelier in die Rustenschacherallee bestellt. Es war vier Uhr nachmittags. Er öffnete ihr die Tür mit der Kaffeeschale in der Hand, betrachtete sie mit verquollenen Augen, erinnerte sich und forderte sie mit einer ironisch-höflichen Bewegung der anderen Hand auf einzutreten. Sie dankte mit einer übertriebenen Verneigung. Krieglach lachte auf, und sie ging hinter ihm her und in den Vorraum zum Arbeitsraum.
    »Sie trinken?«
    »Wodka?«
    »Also Wodka.«
    Er füllte ihr ein halbes Wasserglas, nahm einen Schluck aus der Flasche und besserte mit seinem üblichen Quantum den Kaffee auf, fläzte sich auf das Sofa, schloss die Augen.
    »Nun?«
    Zischka berichtete ihm von der Diskussion im Club, er unterbrach, indem er abwinkte.
    »Zur Sache.«
    »Wais wird die Wahl gewinnen. Es wird eine Schande sein.«
    »Ist es schon längst.«
    »Wir wollen ein Zeichen setzen.«
    »Was sind das für Phrasen?«
    »Samueli, kennen Sie Boaz Samueli?«
    »I wo.«
    »Boaz, ein Mitbegründer des Club Diderot – Anderes Österreich, jüdische Hochschülerschaft, ein Mediziner …«
    »Was ist mit dem?«
    »Es war so: Boaz, Tonio Gaspari …«
    »Tonino?«, unterbrach Krieglach und lachte laut auf, »mein Poetenspezi macht auch bei euch mit?«
    »Nein, so nicht«, sagte Judith. »Lassen Sie mich ausreden! Tonio sagte, als er mit Boaz, mir und noch einigen anderen zwanglos im Riedel zusammengesessen war, dass man dem Wais sein SA -Pferd

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