Der Kalte
Ihren Namen behalten, haben Ihre Strafe abgesessen und können nun in Ruhe leben. Ists nicht so? Ich war, aber das wissen Sie ja, Kronzeuge, war ein guter Deal, ich habe meine Ruhe, meine Schüler, meine Familie, das schöne Ausseerland. Aber denken Sie an den Mauss. Der wurde auch freigesprochen wie Egger, und seit zwanzig Jahren muss er zittern, dass der Jud, Sie wissen, wen ich meine, also dieser Lebensart, neue Zeugen auftreibt, eine Wiederaufnahme erreicht. Mauss und wir haben alle Hände voll zu tun mit unseren Beamten dort und da, damit eine Ruhe ist. Mit der Verjährung, nah waren wir dran, ist es Essig, leider. Warum soll also der Toni nicht den Namen nochmals ändern, den Wohnort und schauen, dass man ihn im Fall des Falles nicht wieder auf der Rax entdeckt oder auf der Blaa-Alm. Obwohl, wenn ihn einer erkennt, ist der Name eh wurscht. Deswegen sage ich auch, wenn man Rat sucht
bei mir: Nicht hierbleiben. Woanders ists auch schön. Erst mussten die Hebräer nach Südamerika, jetzt halt manche von uns. Unter uns gesagt, dort gibts ein paar sehr lukrative Möglichkeiten. Manche Qualifikationen, die wir uns im Reich erworben haben, können dort aufs Neue genutzt werden, tja ja. Sie suchen den Toni, warum?«
»Haben Sie ein Bier?«
»Selbstverständlich, Kamerad Rosinger.« Rastl stand auf, holte zwei Flaschen Bier und Gläser, schenkte ein.
»Edmund Fraul«, begann Rosinger, »war –«
»War Schreiber in Dachau und Auschwitz. Weiß ich doch«, unterbrach Rastl. »Ein Freund von Ihnen?«
»Ich spiele Schach mit ihm«, sagte Rosinger mit fester Stimme. »Herr Fraul möchte mit dem Schädelknacker reden, ohne ihm Schwierigkeiten machen zu wollen. Etwas Persönliches, ich weiß auch nicht …«
Rosinger wurde vom Aufgehen einer Tür unterbrochen. Ein Mann kam aus dem Nebenzimmer, der dem Rastl ähnlich sah. Gedrungene Gestalt, weißsilbriges Haar, breiter Nacken, rotes Gesicht.
»Ich werd einen Teufel tun«, sagte der Hereinkommende mit heiserer Stimme, hielt inne und streckte dem Rosinger seine Rechte entgegen. Der stand auf, nahm seine Schultern zurück und erwiderte den Händedruck.
»Aber eines können Sie dem Wirthssklaven ausrichten. Ich bin kein Schädelknacker. Sagen Sie dem, man kann nicht einmal bei Muselmännern einen Schädel durch Zusammenschlagen brechen. Sagen Sie ihm, er soll –«
»Ist gut, Toni. Willst auch ein Bier?«, fragte Rastl und ging noch eine Flasche holen. Rosinger schwieg. Egger sagte auch nichts. Rastl kam zurück. »Sags ihm«, sagte er zu Egger.
»Ich geh aus Europa weg«, flüsterte Egger, als würde vor
den Fenstern die Stapo lauern und zuhorchen. »Wenn der Scheißfraul mich sprechen will, soll er nach Bariloche kommen. Dort werde ich ihm den Schädel zu knacken versuchen, aber es geht nicht, sag ihm das.« Das Telefon läutete. Die drei Männer schauten gleichzeitig zur Tür. Es läutete und läutete. Fraul fuhr auf. Er war im Lehnstuhl eingeschlafen. Es war fünf Uhr nachmittags. Er stand auf und ging zum Apparat. Rosinger entschuldigte sich, fragte, ob er störe. Er hätte von Egger die Adresse. Der wohne auch im dritten Bezirk, in der Ölzeltgasse acht Fraul bedankte sich, hängte ein, ging zum Fenster und machte es auf. Es begann zu regnen.
35.
Johannes Tschonkovits traf das Wahldesaster nicht unerwartet. Schon seit längerem spürte er, dass die gegen Wais eingeschlagene Taktik nach hinten losgehen würde. Als er seine Kontakte zu Isaac Maxmann vom Jüdischen Weltkongress intensivierte, ohne den Kanzler einzuweihen, war ihm bald klar, wie sehr es im Interesse Maxmanns lag, Österreich generell als braun kontaminiert darzustellen. Der Whiskeyfabrikant ließ sich nicht von seiner Überzeugung abbringen, dass Österreich nur gezwungenermaßen aus seiner Geschichte gelernt hatte und im Inneren nach wie vor leidenschaftlich seinen vergangenen autoritären Erscheinungsweisen anhing, ob es die austrofaschistische Figur war, von welcher sich die Schwarzen nicht zu lösen vermochten, oder die Hitlerei, die in einigen Lagern ihre heimlichen Bewunderer hatte. Johannes hatte zwar immer wieder diesen Einbildungen Maxmanns widersprochen, aber der hatte das für ein Beschwichtigungsspiel genom
men, das er nicht ernst zu nehmen brauchte. Maxmann traf regelmäßig Abi Meyer, mit dem der amerikanische Präsident gelegentlich frühstückte. In einer mit Windungen und Wendungen durchherrschten Übertreibungsaktion gelang es den beiden, den Präsidenten ausreichend zu
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