Der Kalte
daheim. Novacek war ihn abholen gekommen und stand bei der Tür, hatte die Hand auf die Türklinke gelegt und wartete. Doch Wais wusste noch allerlei kleine und kleinste Angelegenheiten zu erledigen. Er tauschte mehrmals die Krawatte aus, während seine Frau an ihm herumzupfte, wollte dann noch sein erstes Statement der mit Genugtuung durchzogenenen Hochstimmung anpassen. Novacek, der es schon am Morgen verfasst und nun mitgebracht hatte, ließ die Türschnalle los, ging zurück ins Arbeitszimmer, sah über die Schulter des künftigen Präsidenten auf das Papier, das Wais mit kleinen Rufzeichen, Wellenlinien und Durchstreichungen bearbeitete.
»Lass das doch. Sag mir einfach im Wagen, wonach dir ist, was du sagen willst.«
»Bin gleich so weit.« Wais drehte seinen Kopf und schaute zu Novacek hinauf, wollte weitersprechen, erhob sich und sagte dann mit heller Stimme:
»Ich bin glücklich. Meine Landsleute haben mir ihr Vertrauen geschenkt. Sie haben all die Lügen gestraft …«
»Keine Negativäußerungen«, unterbrach Novacek. »Gefreut, gefreut, danke und danke. Bemühen, gute Zukunft. Ende der Durchsage.«
Wais klaubte das Papier vom Schreibtisch, gab es Novacek, ging seine Frau zum Abschied küssen und fuhr mit Novacek zum Palais. Dort wurde er mit großem Beifall begrüßt. Beran kam nach kurzem Blick zur Fernsehkamera auf Wais zu, der breitete in De-Gaulle-Manier die Arme aus, und der Kopf des kleingewachsenen Parteivorsitzenden verschwand nahezu in der Umarmung. Neuerlich ap
plaudierten die Umstehenden, ein Reporter wollte Wais sein Mikrofon unter die Nase halten, doch Novacek schob es zur Seite. »Später, wie ausgemacht, später.«
Beran, Weber, Novacek, der außenpolitische Berater Jungnickel und der Präsident zogen sich zurück. Im Silberzimmer standen sie im Kreis, es wurden ihnen Sektflöten gereicht.
Novacek hatte sich vorsorglich zwischen Weber und Jungnickel gestellt, die einander angelegentlich ignorierten. Beran, der die Spannung bemerkt hatte, ließ es sich nicht nehmen, mit einigen Sätzen darauf einzugehen, denn er sprach:
»Trotz aller Unerquicklichkeiten, ja sogar wegen dieser Unappetitlichkeiten, dieser Verleumdungskampagne, haben wir alle miteinander – neben deinen, lieber Johann, auf der Hand liegenden Vorzügen und deinen unbestrittenen bisherigen Verdiensten – diesen großartigen Sieg eingefahren. Nun Einigkeit bei uns, Einigkeit. Die Zerwürfnisse bei den Roten haben promptest eingesetzt. Prost.« Und die Männer führten den Sekt an die Lippen. Walter Weber wandte sich an Jungnickel: »Wir haben es geschafft. Ich danke dir im Besonderen.« Jungnickel schenkte ihm ein schmales Lächeln und senkte den Kopf zum Dank. Novacek und Beran wechselten einen Blick, Beran sah auf die Uhr.
»Es wird Zeit. Fahren wir.« Novacek trat nahe an den Parteivorsitzenden heran, flüsterte:
»Du fährst mit Wais mit?«
»Sicher.«
»War nicht vereinbart.« Weber tippte Novacek auf die Schulter. »Komm, Adrian. Unser Zusatzkommuniqué.« Novacek zögerte, sah zu Wais hinüber. Der hatte seinen Arm um Berans Schultern gelegt und schritt mit ihm aus dem Silberzimmer.
Das Szenario der Sondersendung im Österreichischen Fernsehen hatte sich dessen Chef ausgedacht, und er war deshalb beim Empfang dabei, obwohl er mit der Durchführung nichts zu tun hatte. Er war allen im Weg und nervte so lange, bis der erste Politiker angefahren kam. Er begrüßte Beran und ließ sich dabei fotografieren, wandte sich danach unverzüglich an den Gestalter der Sendung, Florian Kleinbauer, um ihn nochmals auf die Eckpunkte hinzuweisen.
»Herr Generalintendant, es ist alles in Ordnung«, sagte Kleinbauer, während Beran in die Maske gebeten wurde. Der Generalintendant überlegte, ob er ihm dorthin folgen oder auf die Ankunft der Nächsten warten sollte. Endlich wurde er sich der Lächerlichkeit seiner Hektik bewusst, er nickte reihum und eilte in sein Büro.
Nach und nach waren alle da außer Neuner und Wais, warteten und naschten etwas vom Buffet.
Kleinbauer hatte im Vorfeld ausgehandelt, in welcher Weise die ersten Statements erfolgen sollten, er bat, keine allzulangen Dankadressen an die Wählerschaft abzulassen. Er hatte kurzfristig die Reihenfolge geändert, wollte nun mit dem Verliererlager beginnen, also erst mit Bundeskanzler Marits, daneben sollte Beran stehen, der gar nicht vorgesehen war, aber von Walter Weber durchgedrückt wurde. Dementsprechend sollte Beran im Namen der »Wahlbewegung
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