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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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Parteizentrale schnürte er etliche Mappen zusammen, tat sie mit Büchern, Ordnern und privater Schreibmaschine in Koffer und Rucksack. Marits klopfte an und trat ein. Schweigend sah der zurückgetretene Kanzler seinem gewesenen, wenn auch inoffiziellen Kabinettchef zu und setzte sich schließlich auf einen Koffer.
    »Lassen wir Gras drüber wachsen«, sagte er. »Thea meint,
du solltest in nächster Zeit auch nicht zu uns nach Hause kommen. Die Stimmung ist sehr aggressiv gegen dich.«
    »Du bist mein Opfer gewesen«, sagte Tschonkovits, »ich weiß. Dabei wusstest du immer genau, was du wolltest und was zu tun war.«
    »Ich bereue nichts«, erwiderte Marits, erhob sich, gab Johannes die Hand und hielt sie fest, »und du hast eine exzellente Arbeit gemacht. Ich danke dir, und du sollst wissen, dass ich unser Wirken nicht vergessen werde.« Er ließ die Hand los, öffnete die Tür, drehte sich nochmals um: »Wir sind nicht die einzigen Antifaschisten in diesem Land. Die Geschichte wird uns recht geben.«
    Tschonkovits ging mit zwei schnellen Schritten auf ihn zu.
    »Ich werde aus dem Land gemobbt«, sagte er leise. »Unsere Genossen sind schlimmer als alle Schwarzen zusammen.«
    »Es ist nicht persönlich«, murmelte Marits. »Lass von Zeit zu Zeit von dir hören.«
    »Dann ist er aus dem Zimmer gegangen«, erzählte Johannes dem mit verschränkten Armen neben seinem Schreibtisch sitzenden Roman, »mein einziger Freund ist aus meinem Zimmer gegangen, und schwupps, gleich darauf wars auch nicht mehr mein Zimmer, nicht mehr meine Löwelstraße, nicht mehr meine Partei, nicht mehr mein Land.«
    »Na, na«, machte Apolloner, riss eine neue Zigarettenpackung auf, bot Johannes eine Zigarette an, und sie rauchten. Klingler klopfte an, kam herein, warf einen Blick auf Tschonkovits, wollte Apolloner etwas sagen, unterdrückte es, gab Tschonkovits die Hand.
    »In Ihrer Haut möchte ich nicht stecken«, sagte er. »Ich komme später«, und er ging.
    »Vielleicht habe ich dich falsch eingeschätzt«, sagte Apollo
ner langsam und schaute dem Rauch nach, den er in Kringeln herausgeblasen hatte. »Ich hab dich eher für einen Machtjongleur gehalten.«
    »Das bin ich auch«, zischte Tschonkovits zwischen den Zähnen hervor. »Schnitze keinen Helden aus mir. Ich hab gespielt und verloren.«
    »Ich mache eine big Story über dich. Mit dir, wenn du magst.«
    »Ich weiß nicht, wo es jetzt hingeht mit mir. Ich kann keinen vernünftigen Gedanken fassen. Es ist zu früh, jetzt auszupacken, mich zu rechtfertigen. Dein Boss schaut auch nicht danach aus, als wünschte er mich als Titelgeschichte.« Dazu sagte Apolloner nichts.
    »Ich glaub, ich seil mich ab«, sagte Tschonkovits, griff zu Apolloners Zigarettenpackung und angelte sich noch eine. »Ich kenne so viele Leute hier, es waren mir eine Menge verpflichtet, die haben deswegen alle einen Rochus auf mich, weil ich ihnen nichts mehr –«
    Tschonkovits schlug sich mit der flachen Hand auf den Oberschenkel. »Das weiß man ja, das weiß man eh.«
    Er stand auf. »Ihr vom Besserwisserclub macht doch weiter. Bin auch kein Spion mehr, kann euch nicht an die Staatspolizei verzünden. Bin nur noch ein Berufsmagier außer Übung.«
    Apolloner erhob sich ebenfalls. »Das tut mir ein bissl leid«, sagte er und lächelte ihn an. »Aber wir werden weitermachen, wir werden schauen, wie wir den Wais isolieren. Wir werden nicht aufhören, darauf hinzuweisen, dass er das Symbol für das alte naziverstrickte Österreich ist.«
    »Isolieren? Er ist doch beliebt wie Peter Alexander.«
    »Da täuscht du dich. Nicht einmal die Schwarzen mögen ihn besonders. Ich hab manches gehört. Er ist in das Amt hineingetrotzt worden.«
    »Und der Trotz soll sein ständiger Begleiter sein?« Tschonkovits' Augen belebten sich, begannen leicht zu funkeln.
    »Und am Ende ist der Trotz der einzige Gefährte neben seiner Aglaja«, sagte Apolloner mit lauter werdender Stimme. »Unser Kampf fängt überhaupt jetzt erst an.«
    Dazu schwieg Tschonkovits.
    »Wo willst du dich denn hinseilen?«, fragte Apolloner leise.
    »New York.«
    Und von seinem eigenen Gedanken mitgerissen, wiederholte er:
    »New York, New York. Pfiatdigott, du beschissenes, stinkendes, bräunendes, einziges Wien.« Er machte seine Zigarette aus. »Dort ist der einzige Ort, wo ich atmen kann.«
    »Hm, hm«, machte Apolloner. »Die werden jetzt sagen, er flüchtet zu seinen Juden.«
    »Wenn schon«, rief Tschonkovits. »Die hier sind jetzt im Arsch. Nicht

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