Der Kalte
geschüttelt. Ich habe gesagt, ich komme mit. Schließlich, ich hab dummerweise vor ihm zu weinen angefangen, hat er mir einen Vertrag angeboten: Ich soll hier maturieren, seine Tochter in Israel. Wir können uns schreiben und nach einem Jahr, wenn beide wollen, können wir uns in Israel sehen. Ich habe ihn gebeten, die Dolly jetzt noch einmal treffen zu dürfen, aber er sagte mir, sie ist schon nach Israel geflogen, gestern.
Schon gestern?, fragte ich. Segal nickte. Zur Not fliegt man auch am Sabbat und mit der AUA statt EL AL , sagte er mir, und dann hat er mir großmächtig die Hand geschüttelt und ist gegangen.
Jetzt sitze ich da und weiß nicht, was ich tun soll.
30. 6.
Mutter hat mich angerufen. Ich war verkatert, weil ich mich angesoffen hab und erst spät eingeschlafen bin. Sie geht zu Margit, ob ich mitkomme. Halbes Jahr. Ich wollte mich zwar mit Helen beim Schnitzler treffen, aber dann bin ich mitgefahren. Als wir am Grab standen, kam plötzlich Guido Messerschmidt dazu. Ich sagte ihm, vielleicht war es gar nicht so blöd von meiner Schwester, was sie ge
macht hat, habs aber gleich bereut, weil Mutter wieder diesen Gramblick bekam, der mich total nervt. Er hat uns beide zum Mittagessen in eines der Leichenschmauslokale eingeladen. Guido hat von Margit und ihrer Spitalsarbeit gesprochen, und irgendwie habe ich gemerkt, dass er noch immer total traurig ist. Dabei hatten die garnix miteinander. Mutter immer knapp am Wasser, überhaupt, tränenreiche Zeit, auch für mich. Guido hat dann Mutter in die Schleifmühle gefahren und mich zu mir. Er erzählte mir, dass er in einem Chor singt. Er hätte einen Tenor. Ich Bariton, sagte ich ihm. Wie mein Vater. Das wusste er schon, dass ich einen herrlichen Sänger zum Vater gehabt habe. Ob ich zum nächsten Konzert kommen wolle.
Jetzt habe ich Helen angerufen, sie war ruhig und bestimmt und hat aufgelegt. In meiner Hosentasche finde ich den zerknüllten Zettel mit der Adresse von Dolores. Hab ihn überall gesucht. Ich setze mich gleich hin und schreib ihr. Soll ich es vorher ins Tagebuch schreiben? Wozu?
37.
Am achten Juli wurde Johann Wais im Parlament angelobt. Der Parlamentspräsident sprach ihm die Formel vor, Wais redete sie nach und fügte ein »So wahr mir Gott helfe« hinzu. In seiner ersten Rede, die den Novacek eine ganze Nacht gekostet hatte, obwohl sie letztendlich schlicht und einfach von den Lippen des neuen Präsidenten troff, rief Wais zur Toleranz auf, versprach wie alle vor ihm, ein Präsident für alle zu sein, Zwietracht hintanzustellen und das Gemeinsame für die geliebte Heimat zu betonen. Die Abgeordneten hörten sich das an, die Stirnen, die dem Redner hundertdreiundachtzigfach entgegenschimmerten, wa
ren teils gefurcht, teils hochgezogen, ähnliche Gedanken liefen wohl hinter ihnen ab: Genugtuung, Trotz, Sorge, Zorn. Das Hohe Haus war einigermaßen feierlich adjustiert, ausgesucht die Krawatten der Männer, die Halsketten der Frauen, ausgesucht die Leute auf der Zuschauergalerie. Draußen vor dem Parlament wehte für kurze Zeit ein Transparent mit der Aufschrift: Nein zum Kriegsverbrecherpräsidenten. Die Polizei riss das Transparent den beiden, die es hielten, aus der Hand, rollte es ein, wobei es entzwei ging. Den Demonstranten wurden die Personalien abgenommen; schon wollte man sie gehen lassen, als einer der Polizisten über Walkie-Talkie von einer Demonstration am Stephansplatz erfuhr. Er fragte nochmals nach, wie nun hier zu verfahren wäre, dann durften die Demonstranten nach Hause gehen.
Der Club Diderot hatte am Stephansplatz den Bauarbeitern vor dem Haashaus Geld gegeben, damit sie länger in der Mittagspause verblieben und die Kundgebung nicht mit ihren Presslufthämmern verknatterten. Ein Kleinlaster hielt vor der Baustelle, auf ihm Krieglachs Pferd, das eine schwarzbraune Kappe mit der Aufschrift SA auf dem Kopf trug. Boaz Samueli eilte zwischen dem Laster, den Bauarbeitern und den zwei vorgesehenen Rednern hin und her. Am Stephansplatz waren an diesem Julidienstag wie sonst auch eine Menge Touristen unterwegs. Japaner kamen sofort an den Laster, um zu fotografieren, zwei junge Männer, mit bepudertem Gesicht und Rokokoperücke angetan sowie mit weiß-verstaubtem Kostüm, drehten die Köpfe zum Holzpferd hin. Sie warben für ein Mozartkonzert und gerieten allmählich mitten in eine Diskussion von Aktivisten der Gruppe Anderes Österreich und sich mehr und mehr ereifernden Wienern, die sich mit Rededuellen ineinander zu
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