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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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eine noch das andere sind. Während ich all das zu ihm über den Tisch blubberte, blieb er ganz ruhig, sah mir aufmerksam beim Reden zu, als wäre auch dies ein Bestandteil seiner jetzigen Leidenschaft. Ohne dass ich sie gesehen hatte, tippte mir Judith Zischka auf die Schulter.
    »Entschuldige, Hirschfeld«, sagte sie schnell, »wenn ich unterbrech. Servus, Roman.«
    Apolloner schaute sie verdrossen an: »Du merkst wohl nie, wann du störst.«
    »Oh, ich störe? Na dann …« Judith ging wieder nach hinten zu ihrem Tisch, auf dem ihr Glas stand. Ich sah, dass sie sich im Mantel hinsetzte und so dasaß.
    »Warum fährst du sie so an?«, sagte ich zu Apolloner.
    »Was heißt philosemitisch?«, antwortete er und warf mir einen bitteren Blick zu.
    »Hörst du nicht zu, mein Lieber?«
    »Doch, aber was nützt mir das?«
    »Pass auf, Roman. Du bist ein erstklassiger Literaturkenner, hast sogar Geschmack, bist unneidisch und redlich, ein aufrichtiger Alpenmichl. Hast du nichts Besseres zu tun, als dem ehrenwerten Edmund Fraul hinterherzujapsen, dich vor ihm auf dem Boden zu wälzen, dir vor die Brust zu schlagen, dass du der unglückliche Sohn von Optanten bist?«
    »Gibs mir nur.«
    »Optanten«, schnaubte ich. »Bloß weil die Mehrheit deines Bergvolkes damals für Hitler war, auch weil sie keine Mussolini-Italiener sein wollten.«
    »Waren ordentliche Nazis. Meine Eltern interessanterweise nicht.«
    »Ach was. Viele waren Nazis, Südtirol, Norddeutschland, Schlesien, wurscht.«
    »Ich glaube, mein Interesse an Fraul hat damit nichts zu tun.«
    »Hört, hört.« Ich schaute zu Judith hinüber.
    »Außerdem ist der Fraul gar kein Jude«, sagte Apolloner.
    »Auf das sind sie ihm nur nicht draufgekommen. Der ist ihnen durchgerutscht, soviel ich weiß.«
    »Jedenfalls war er als Arier Lagerschreiber in Auschwitz-Birkenau. Mich lässt das nicht los, Paul. Weiß auch nicht.«
    »Mich sollts eigentlich freuen, wenn ihr euch mit sowas befasst«, sagte ich, während in mir Widerwille hochstieg. Ich beugte mich vor und boxte ihm auf die Schulter.
    »Ich red Blödsinn, Romano.« Ich erhob mich und ging zur Theke, bestellte mir meinen Wein, blieb dort stehen und
ließ den Apolloner beim Tisch zurück. Sogleich stand die Zischka auf und kam auf mich zu.
    »Darf ich?«
    »Sicher. Gehts um mein Porträt?«
    »Auch.« Sie schaute mir von unten ins Gesicht. »Es ist etwas anderes.«
    Ich wartete, dass sie weiterredete. Stattdessen griff sie zu meinem Glas. Ich deutete auf den Tisch, den sie verlassen hatte. »Dort steht dein Wein. Was hast du?«
    Judith nahm sich von der Theke eine Serviette und wischte sich die Tränen ab. Apolloner, der dem zusah, kam zu uns her.
    »Tut mir leid«, sagte er zu ihr.
    »Du hast doch geraten, mich an Paul zu wenden.«
    »Ich bin da«, sagte ich. »Schon bemerkt?« Judith nickte und öffnete ihren Mund, da blieb ihr Blick an der Eingangstür haften, durch die Karl Fraul hereinkam.
    »Paul«, rief der, »gut, dass ich dich treff.« Er gab mir die Hand, nickte den beiden zu und begann sich sogleich mit heller Stimme nach meinen Angelegenheiten zu erkundigen.
    »Alles beim Verlag«, grinste ich. »Alles unter Dach und Fach.«
    Ich bemerkte, wie die Zischka meinen Blick einzufangen versuchte.
    »Was willst du denn?«, fragte ich sie.
    Judith nickte und sagte laut: »Kannst du mir bei deinem Freund Fraul einen Termin verschaffen?«
    Ich deutete auf Karl. Der grätschte mit dem Mund.
    »Du willst mich interviewen wegen Macbeth«, sagte er. »Die Brunzbusche befragt das arrogante Arschloch. Jetzt gleich? Komm!«
    Er gab dem Kellner Jenö ein Zeichen und ging mit Judith
zu ihrem Tisch. Ich aber blieb bei Roman, trank mich zufrieden ob all dem Geleisteten in den Abend. Ich sah zu, wie die zwei sich angeregt unterhielten.
    12.
    Edmund Fraul ging die Kaiserebersdorfer Straße stadteinwärts. Er hatte das Pensionistenheim in der Studenygasse hinter sich gelassen, und in dem Ausmaß, in welchem er sich mit bedächtigen Schritten von ihm entfernte, wurde der Gedanke an seine Mutter, die beim Tischchen in ihrem Zimmerchen ausharrte, flüchtiger und blasste aus. Stattdessen kamen wie schwarze Vögel, die vom Horizont heraufflogen, andere Gedanken, setzten sich gewissermaßen auf seine Schultern und bespeichelten durch die Ohren seinen Schädel. Dieser Donnerstag war hell und die Luft würzig. Er schritt gut aus, ging die Simmeringer Hauptstraße entlang, ließ etliche Einundsiebziger an sich vorüber, bis er bei der

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