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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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kurzen Fahrt durch Maskat schaute Wais auf das Hadschar-Gebirge, das bis zum Meer reichte. Ein dünnes Spalier säumte den Weg zum al-Alam Palast des Sultans. Dort gab es ein Galadinner. Hernach begab sich die Wirtschaftsdelegation unverzüglich nach Matrah, dem neuen Geschäftszentrum, indes Qabus und Wais mit den Politikern und Journalisten sich im Garten ergingen. Qabus zog Wais zur Seite und versicherte ihm, dass er seine für einen arabischen Herrscher vorzüglichen Beziehungen zu Israel zugunsten des eklatant verleumdeten Österreichers einsetzen werde. Apolloner nahm ein Taxi
und fuhr nach Sib, sah den Menschen ins Gesicht, fotografierte und traf einen Schulfreund aus Bozen, der mit seiner Familie seit Jahren hier lebte.
    Nachts sagte Johann am Telefon seiner Aglaja, er hätte in Qabus einen Freund gefunden. Er schlief gut.
    Schon zeitig in der Früh gings weiter nach Katar. In Doha schritt Wais neben dem Emir Chalifa ibn Hamad, der nach Tabak roch, die Ehrenkompanie ab. Dann weiter nach al-Kut, der Festung, die als Zeichen der Unabhängigkeit ins Zentrum von Doha hingestellt wurde. Auf der kurzen Strecke war kein Spalier aufgestellt.
    Die Besprechungen fanden im Government House statt. Der Emir betonte vor allem seine Abstammung und Fortführung der al-Thani-Dynastie. Er nahm Wais beiseite und sprach ihm seine Solidarität aus. Er bedankte sich gleichsam im Namen der arabischen Welt.
    Apolloner kannte in Doha niemanden. Er blieb in der Nähe des Präsidenten, wechselte freundliche Worte mit ihm, die Wais guttaten. Der Präsident versprach ihm auf dem Rückflug ein Interview, aber nur im Beisein von Novacek. Es wurde unter gelegentlichen Rülpsern des magengeplagten Pressesprechers ordnungsgemäß durchgeführt. Wais zeigte sich darin zufrieden mit der »arabischen Mission«, er hätte neue Freunde gewonnen. Kurz vor Mitternacht landete die Delegation in Wien. Der Empfang durch die Medien hielt sich in Grenzen. Doch Bundeskanzler Doktor Friedrich Habitzl ließ es sich nicht nehmen, Wais persönlich abzuholen. Während der Kanzler in der VIP -Lounge herumstand, versuchte er, mit Aglaja Wais zu konversieren, um die Wartezeit zu überbrücken. Sie blieb höflich und kühl und schien die Ankunft ihres Gemahls kaum erwarten zu können.
     
    Guido Messerschmidt wollte Stefan zum Vorsingen begleiten. Er nahm sich einen Urlaubstag, war nervös und fand sich bereits um halb elf im Musikverein ein. Das Vorsingen sollte ebenfalls im Kammersaal stattfinden. Als Guido eintraf, begrüßte er den uralten Korrepetitor Rudolf Schmuddermayr, der in der Ecke saß und an einer kleinen schwarzen, nicht entzündeten Pfeife sog. Alexander Schurin steckte den Kopf bei der Tür herein: »Bin da, bin weg, bin da«, rief er hinein.
    »Wie viele sinds denn?«, fragte Guido. Schmuddermayr warf einen Blick auf die Noten.
    »Einer«, sagte er.
    »Also nur Stefan Keyntz.«
    »Das Söhnlein?« Guido nickte. Es klopfte, Stefan kam langsam herein, sah Guido Messerschmidt, machte kehrt und war verschwunden. Messerschmidt eilte hinter ihm her, holte ihn noch vor dem Ausgang ein.
    »Nicht kneifen, Steff«, sagte er und fasste ihn an die Schulter. Stefan drehte sich um.
    »Wer hat dir erlaubt, mich hierher zu begleiten? Ich bin doch kein Kind. Ich brauch dich nicht, ich mache das allein, du singst eh nicht statt meiner, also lass mich in Ruh. Wenn du bleibst, geh ich.«
    Guido ließ verwirrt und erstaunt seine Arme fallen. Er nickte mit rotem Kopf, machte noch rasch »t, t, t« über Stefans Schulter und ging an ihm vorbei und auf die Straße. Stefan sah ihm nach, holte ein Taschentuch aus dem Hosensack, schnäuzte sich und kehrte in den Kammersaal zurück. Er setzte sich stumm in einen Sessel, und Schmuddermayr hatte Zeit und Muße, den jungen Keyntz zu betrachten.
     
    Schurin hatte drei Leutchen mitgebracht, die nun auch zuhören durften, Stefan aber nicht vorgestellt wurden. Anfangs sprach Schurin über das Singen in seinem Chor. Man müsse dies tun, jenes lassen, nicht nur heraussingen, sondern auch hineinhören, immer am Stimmding arbeiten, pünktlichst sein, aber jetzt mal los.
    Als Stefan das Wirtshaus aus der Winterreise anhob zu singen, blitzte der weiße halbnackte Körper seiner Schwester unter seinen Lidern auf. Es bildete sich ein Knödel im Kehlkopf, sodass er nach dem Wort Totenacker nur noch die Zeile » hat mich mein Weg gebracht « flüstern konnte und abbrechen musste. Schmuddermayr wartete, sah beiläufig dem Keyntz auf den

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