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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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sich.
    »Setz dich am besten da hin«, sagte Guido. Er verschwand. Stefan sah sich um. Es waren ungefähr vierzig Leute versammelt, jeder an seinem Platz, links die Männer, rechts die Frauen. Er saß mittendrin, hinter ihm die Eingangstür, halb rechts vor ihm zwei breite Rücken, darauf die Hinterköpfe, einer mit Dutt, einer mit langen, gekräuselten Haaren. Messerschmidt kam zurück, gab ihm einen Klavierauszug.
    »Der Korrepetitor ist verhindert«, verkündete Schurin düster. »Muss ich ran.« Er setzte sich zum Klavier.
    »Los gehts. Seite 85, Tutti. 29: Sprechen!«
    Der Chor begann im Rhythmus zu sprechen: »Wir sind Ge – dan – ken; hast du gedacht uns, tanzen auf schlanken Fü-ßen gemacht uns? Wir hät – – – – ten sol – len wie Vö – – – gel ins Blaue, statt hier zu rol – len als Garn – – knäu – el, grau – e. Wir sind ei – ne Lo – sung; hast du gespro – chen uns? Des Staubs Lieb – ko – sung hat klä – glich ge – brochen uns.«
    »Jetzt gesungen.« Während der Chor nun die Passage aus Peer Gynt zu singen begann, dirigierte Schurin mit einer
Hand, das heißt, er schlug den Takt, rief : »32 punktiert, ßen gemacht , eins zwei drei gemacht uns ?«, sie sangen weiter. Die Passage war fertig.
    »Nochmals.« Nach dem dritten Mal: »Gutt. Merken! Notieren: Bleistiftprobe: Herzeigen!« Die meisten Chormitglieder hielten ihren Bleistift in die Höhe. »Gutt. Also einringeln, weil nahtlos zusammenziehen. 47: sindei , 49: StaubsLieb. «
    Die Leute ringelten ein. Schurin sprach weiter: »Konsonanten deutlich bei: wir sind Gedan KEN , schlanken Ffüßen , wir hä TTEN sollen . Ebenfalls einringeln!« Der Chor tat es.
    Stefan sah in den Klavierauszug, und ihm kam es vor, als wären die Wörter, die Noten, die Pausen, die Punktierungen, die Crescendi, die Accelerandi zu einer Tanzgruppe zusammengekommen. Das Zeug stieg aus dem Auszug heraus, stand ihm vor Augen, um in ihn einzudringen. Nach zehn Minuten war er gefangen genommen von Peer Gynt, die Unterbrechungen, die kurzen Kommandos des blonden Riesen vorne, die Scheitel der vor ihm Sitzenden verschmolzen mit den Rhythmen, den Tönen in einen Hör- und Sehkessel, welcher rundum den Horizont begrenzte.
    Die Probenzeit verging wie nichts. Stefan schien es unglaublich, wie rasch alle Singenden zwischen den diversen Stellen hin und her wechseln konnten, alles sofort fanden.
    Schurin hob sich zum Schluss der Probe eine der schwierigen Stellen auf. »Und nun«, sagte er und lächelte schief, »Peer Gynt, von Trollen gejagt.« Wieder musste zuerst gesprochen werden: »Ko – bol – de! Wich – tel! Beißt ihn von hin – ten! Macht al – les dich – te, Macht al – les dich – te. Macht zu!«
    Dann kam die Stelle mit Zerfetzt ihn! Diese Aufforderung musste in verschiedenen Rhythmen gesungen werden, an
fangs mit Pausen, am Schluss in rasender Eile achtmal hintereinander. Die meisten Mitwirkenden sprühten aus dem Mund, wenn sie das »Zerfetz – t ihn« ausstoßen mussten, sie zerspragelten sich zwischen der Affrikaten »tz« und dem Verschlusskonsonaten »t«, manche blubberten nur noch. Alexander Schurin sagte lächelnd:
    »Stopp. Also das mit dem zerfetz und dem t vor dem i geht so nicht bei dem Tempo. Bitte so: zerfezin. Nur zerfezin. Und das achtmal!«
    Der Chor brüllte achtmal in Achteln: »Zerfezin zerfezin zerfezin zerfezin zerfezin zerfezin zerfezin zerfezin « , während Schurin mit hochgehaltenen Fingern mitzählte.
    »Stopp. Herr Keyntz. Versteht mans?«
    Stefan blickte erstaunt auf und nickte langsam. Messerschmidt meldete sich.
    »Vielleicht könnte man beim ersten Mal noch Zerfetz – t ihn intonieren, erst dann zerfezin?«
    »Gutt, Guido. Das probieren wir.«
    Nach dem Ende der Probe umstanden etliche Chorteilnehmer den Leiter. Stefan bewegte sich zögernd auf Guido zu, der neben einem Tenorito stand. Der Tenorito sagte zu Guido: »Also die Altistin, ich meine die Klara, die ist immer zu tief, sie steht neben mir, das macht mich verrückt.«
    Schurin, der eben noch mit einer Frau im Gespräch war, unterbrach, wandte sich an den Tenorito:
    »Im Chor redet, was zu hoch oder zu tief, zu schnell oder zu oasch ist nur einer darüber, und das bin ich!«
    Stefan zupfte Guido am Ärmel.
    »Was ist, Steff?«
    »Ich möchte –« Stefan brach ab. Guido ging mit ihm aus der Gruppe heraus, wartete. Stefan holte Atem.
    »Ich möchte bei diesem Chor mitmachen.«
    »Vorsingen?«
    »So bald als

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