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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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kamen hiebei dem Ober Jakob in die Quere, der jäh ausweichend mühsam das Tablett in der Balance behielt. Das Kaffeehauspublikum des Café Museum kannte größtenteils den großen Burgschauspieler, und sie quittierten den Tanz nach
kurzer Staunpause mit Applaus. Felix führte Judith zu ihrer Sitzbank beim Fenster neben dem Eingang zurück, zwängte sich beschwingt auf seinen Platz, beugte sich vor und ergriff Judiths Hände.
    »Großartig. Er wird schon von mir sein.«
    »Er?«
    »Er oder sie, das ist mir gleich«, lachte Felix, lehnte sich zurück und betrachtete Judith, als überlegte er, was er nun mit ihr künftig anstellen solle.
    Judith wurde von einem Anflug des Glücks befallen, als sie die Freude des Schauspielers über seine etwaige Vaterschaft wahrnahm, und ihr kam es so vor, als wäre sie erst in diesem Augenblick schwanger geworden.
    Am Beginn der letzten Augustwoche setzten die Wehen ein. In der Semmelweißklinik gebar sie ein Mädchen. Sie nannte es Felicitas Romana.
     
    Nun saß Roman, der sich mit seiner möglichen Vaterschaft abgefunden hatte und bereit war, Alimente zu zahlen und als Erzeuger dafür einzustehen, auf Judiths Bett und forschte in den Zügen des Säuglings nach seinen eigenen. Felix Dauendin trat ein und setzte sich auf die andere Seite des Bettes, nachdem sich die beiden Männer über der liegenden Judith die Hände gereicht hatten.
    »Es ist zu früh, um bereits darüber zu reden«, ließ sich Dauendin in bestem Burgtheaterdeutsch vernehmen, »aber im Angesicht deines früheren Freundes und möglichen Vaters meiner entzückenden Felicitas frage ich dich, Judith, ob es dir recht wäre, wenn ich mich als Vater fühle und die Konsequenzen daraus zu ziehen bereit und willens bin.«
    Judith lachte. »Sie wollen mich heiraten, Herr Felix Dauendin?«
    »Auch das.«
    Anfang September geschah es. Als Trauzeugen fungierten Roman Apolloner und Astrid von Gehlen. Auf ein Fest verzichteten sie und fuhren stattdessen auf Hochzeitsreise nach Ascoli.
    Während Felix dort war, zog Astrid aus dem gemeinsamen Domizil aus und nahm sich eine passende Wohnung in der Grillparzerstraße.
    25.
    Am ersten Arbeitstag nach seinem Urlaub, den Kanzler Friedrich Habitzl diesmal nicht am Wörther See verbrachte, sondern am Zicksee im Burgenland, bestellte er sein Küchenkabinett ein, um allerhand zum Bedenkjahr neunzehnachtundachtzig zu beraten. Dem Wörther See war er ausgewichen, damit ihn nicht ungebeten, aber nachdrücklich Jupp Toplitzer heimsuchte, der seit seiner Wahl zum Chef der Freiheitlichen auf allerlei Weise versuchte, an den Bundeskanzler heranzukommen. Doch Habitzl hatte beschlossen, diesen braun kontaminierten Emporkömmling von Anfang an außer Hörweite zu belassen, sodass dieser umso lauter sich nun auf den »Nadelstreifsozialisten« einzuschreien begann. Am Zicksee war Habitzl gelegentlich mit dem Altkanzler Marits zusammen, der es vom Neufelder See nicht weit hatte. Sie angelten miteinander, wobei Habitzl durch seine gewundene Art und Weise, die gegenwärtige Lage zu analysieren, die Fische vertrieb.
    »Ich weiß«, sagte er schließlich zu Theo, »Fischen soll eine schweigende Tätigkeit sein.«
    »Du meinst Angeln«, sagte Marits und seufzte.
    Abends berieten sich die beiden Kanzler in entspannter Atmosphäre über Anzupackendes. Marits sprach dem Wein
zu und wiederholte immer öfter, dass er sich beileibe nicht einzumischen wünschte, um immer nachdrücklicher die Fortsetzung seines antifaschistischen Kurses zu fordern. Dabei rannte er bei Habitzl offene Türen ein.
    »Ich habe fest vor«, sagte dieser, »eine Grundsatzrede zur Rolle Österreichs zu halten, und zwar am dreizehnten März im Parlament.«
    »Ist ein Sonntag«, sagte Marits sofort.
    »Aha. Am Montag danach.«
    »Aber am exakten Jahrestag solltest du auch …«
    »Das lasse ich mir durch den Kopf gehen.«
     
    Habitzl schaute auf die versammelte Runde seiner Vertrauten. Er suchte Katzenbeißer, der in diesem Moment den Sitzungsraum betrat.
    Der Reihe nach erstatteten die Mitarbeiter Bericht, hoben Daten hervor, verwiesen auf Parallelitäten, stellten Prioritäten zur Debatte. Allen war klar, dass sie insgesamt viel zu spät auf das Bedenkjahr reagiert hatten. Sie waren nervös. Der Kanzler blieb gelassen, er hörte aufmerksam zu. Der Kulturbereich war Katzenbeißer vorbehalten, er ergriff als Letzter das Wort, um über die Einbindung der Kulturschaffenden ins Unternehmen Bedenkjahr zu referieren. An seiner unmerklich

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