Der Kalte
der Zauberer, er möge sich auf seine eingeborenen Fähigkeiten verlassen und ihnen vertrauen.
»Aus dir spricht mein Meister Bartholomäus«, sagte Johannes nach einer kurzen Pause. »Du weißt es nicht, aber du hast mir sehr geholfen.« Thea Marits zog den Atem ein und legte auf. Tschonkovits betrachtete hierauf den Telefonhörer, murmelte etwas, das nach Schummigummikruzitex klang, und ließ den Hörer auf die Gabel gleiten. Es war vier Uhr früh, es war heiß, und wenn eine Brise beim Fenster hereinkam, wurde es noch heißer.
Nächsten Tag ging er in den Club Magicians, Ecke Eight Avenue und dreiundachtzigste Straße West. Lennart Black empfing ihn persönlich, als er erfuhr, dass ein Schüler von Bartholomäus Muck vor der Tür stand. Sie unterhielten sich zwei Stunden. Auf Blacks Empfehlung mietete Tschonkovits einen kleinen Raum in der Nähe des Clubs. Er begann trotz der Hitze zu trainieren. Black borgte ihm etwas Kleingeld, und Anfang September konnte Johannes mit einem kleinen, aber nicht unspektakulären Programm starten.
(Aus dem Tagebuch des jungen Keyntz)
31. 8. 1987
Ein Mann soll es so lange ohne Weib aushalten? Ich war grad in Wien, da hab ich mich nach Dolly zu sehnen begonnen. Ich kann kaum an sie denken, ohne dass ich gleich einen Ständer bekomm. Ich werde mir noch mein Hirn wegonanieren!
1. 9.
Jetzt hab ich doch nicht widerstehen können. Seit Wochen schlag ich mich mit dem Klavierauszug vom Requiem herum. Und nun beginnen bald die Proben. Mit meinem Zweifingergeklimper komm ich nicht weiter. Also, wie sag ichs dir, blödes Tagebuch? Rufe ich die Helen an, denn die kann ja toll Klavier spielen. Frage sie, ob sie mit mir den Klavierauszug durchgeht. Sie kommt prompt angetanzt. Sie fragt mich verwirrt, was sie mit dem Auszug soll, wenn ich kein Klavier hab. Ich sage ihr, eh blöd, daran hab ich gar nicht gedacht. Natürlich fragt sie mich, woran denn, und wir sind eben im Bett gelandet. Wie ich sage: Ein Mann kanns halt nicht ewig ohne aushalten.
2. 9.
Mutter hat mir geholfen, und seit heute steht ein Pianino bei mir. Grade war der taubstumme Srb hier und hat das Klavier gestimmt. Nun muss ich wieder Helen herholen, aber mit Sicherheit ohne Vögeln. Nur Brahms: Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.
Meine Schwester hat aber keiner getröstet, die hat ihr Leid mit ins Wasser genommen. Und der Karl Fraul rennt in der Stadt herum und spielt Theater und tut so, als wäre nix geschehen. Aber so ists eben. Das Leben geht weiter,
auch für Arschlöcher ticken die Uhren, ficken die Huren. Was schreibe ich da? Na, wen fickt der Fraul wohl? Guido hat mir gesagt, dass er mit der von und zu Gehlen geht. Man wechselt die Frauen, spielt in dem Stück, dann eben in einem andern. Mutter freut sich, dass ich die Matura gemacht hab, ich bin erleichtert, der Scheiß ist over, aber eine schwimmt unter den Fischen in der Donau, eine darf nicht zuerst das eine tun und dann was anderes. Margit darf nicht nach dem Karl einen andern vögeln und sich freuen dabei, zum Beispiel den Guido. Dass ich ohne was zu wissen einfach so die Matura geschafft hab, das wundert mich. Mutter musste gleich gerührt davon sprechen, wie sich Vater gefreut hätte. Aber was mach ich jetzt? Ach was, Medizin. Oder doch Konservatorium?
4. 9.
Mit Helen kann man gut arbeiten. Sie kann auch improvisieren, nicht nur am Klavier, dieses Biest. Natürlich sind wir auch am Sofa nebeneinander gesessen und haben uns die Schallplatte angehört. Deutsches Requiem, Karajan, Singverein. Ihre Hüfte an meiner, dann greift sie mich unten an, das Requiem ist weitergelaufen. Ich kann irgendwie nix dagegen machen. Gehts der Dolly auch so? Das wäre aber superscheiße.
5. 9.
Mit Mutter beim Demel am Kohlmarkt. Sie will dauernd was wissen. Ich kann ihr nicht sagen, was ich jetzt machen möcht. Sie will unbedingt, dass ich mich entscheide. Ich darf machen, was ich will, aber etwas muss es sein und gleich. Ich hab ihr gesagt, sie soll mich nicht so drängen, sofort schluckt sie, und Tränen mitten unter den Leuten in der Konditorei. Ich habe mir gedacht, Mütter kann man
sich nicht aussuchen, hab meinen Orangensaft mit dem Strohröhrl aufgesaugt.
Ich hatte vergessen, dass sie nach dem Demel noch zur Margit wollte und zu Vater. Mit dem Taxi sind wir zum Zentralfriedhof gefahren.
Jetzt geh ich mit dem Tschurtschi ins Kino. The Big Easy mit Ellen Barkin. Geil.
6. 9.
Brief von Dolly. Die Segals kommen Ende
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