Der Kalte
bissl in der Friedenspfeife sitzen und mit Filmleuten deigetzen, das ist es schon.«
»Friedenspfeife?«
»Das Filmhaus in der Friedensallee. Wo ständig gestritten wird, denn die Filmleute fangen zu schimpfen an, bevor sie aus dem Bett gestiegen sind.«
»Soso.«
Wir gingen dahin, ich plauderte, Karl sprach in meine Plauderpausen einsilbig ein paar Wörter hinein, schien gut gelaunt. Als wir auf der Höhe des Stadionbades waren, zweigte er automatisch zum Heustadelwasser ab, der Weg wurde schmäler, wir gingen nun Schulter an Schulter. Ich holte Atem:
»Genug! Was ist los mit dir?« Er schaute mich kurz an, zuckte die Achseln.
»Ich kann nichts mehr, Paul. Es geht nichts mehr. Ich bin nichts mehr. Sonst ist alles in Ordnung.«
»Nett. Du gehst auf die dreißig und hast immer noch dein Vaterding laufen? Der Alte ist doch schwer in Ordnung, Karel. Viele täten sich so einen wünschen. Stattdessen haben die ihre weinerlichen Naziväter daheim, die vor dem Fernseher hocken, verfetten und versulzen. Dein Vater ist ein wacher, kritischer Zeitgenosse, der die alten Naziallüren seiner Generation aufdeckt und gegen diese Windmühlen anreitet, wieder und wieder.«
»Glaubst du«, sagte Karl und öffnete die Schleusen, »dass ein Mensch ohne ein Gramm Gefühl für irgendwen als Gerechter und als moralischer Warner glaubwürdig ist? Ihr kennt ihn nicht, diesen selbstgefälligen Menschen, der alle und jeden ausschließlich danach beurteilt, ob er damals – ein Lieblingswort von ihm – seinen Mann gestanden hätte,
sprich: dem Standortarzt Eduard Wirths manipulieren hätte können, sich vor Moll nicht angeschissen hätte, Respekt bei Höß sich verdient hätte, ob er Tod und Sterben ausgehalten hätte mit Blick auf eine revolutionäre Zukunft. Jeder, und ich besonders, musste selbst beim Arschauswischen beweisen, dass man ein Held gewesen wäre, so wie er ein Riese an Anstand, an Mut, an Solidarität war – und ein Zwerg an Mitgefühl. Bis heute ist er einfach das antifaschistische Heldenarschloch, da beißt keine Maus einen Faden ab.«
Fraul blieb stehen und begann mit den Armen zu schlenkern.
»Und meine Mutter, die eine unpolitische Jüdin ist und sich seit damals nur fürchtet vor den Bestien, die ihre Familie ausgelöscht haben – und daran waren ihrer Meinung nach eh fast alle beteiligt, die damals in Deutschland gelebt hatten –, meine Mutter wird von ihm verachtet, herzenstief verachtet, sage ich dir. Auf dieser Verachtung liegt eine hauchdünne Schicht Fürsorge und Höflichkeit drauf. Mama ists, die ihn aus seinen Albträumen reißt. Um ihre kümmert er sich nicht. Mir nimmt er meinen Beruf übel; stattdessen sollte ich zurückrennen, mich in ein KZ sperren lassen und mich bewähren.«
Fraul hielt mich an den Schultern fest, sein Atem wehte in mein Gesicht.
»Er hat gar nicht begriffen, dass die Schauspielerei die einzige Chance ist, wieder im KZ zu sitzen, wieder das Damals durchzukauen.«
Karl hielt inne.
»Paul«, flüsterte er, »kann es sein, dass ich deswegen den blöden Ruben nicht derspiel?«
»Du bist ganz von selbst draufgekommen. Allerhand.«
»Deswegen war mir der Hochroitzpointner so ein Genuss.
Ich spiele besser die Arschlöcher, weil ich noch ein größeres bin als er. Ich bin ein Arschloch ohne KZ - und Widerstandsbonus. Ich bin ein nackertes Arschloch. Deswegen, Hirschfeld, bin ich überhaupt so ein genialer Darsteller.«
Fraul meckerte.
»Weil nur nackerte Arschlöcher wirklich gut sein können. Aber mein Vater wäre noch ein besserer Schauspieler geworden, als ich es je sein werde, sag ich dir. Don Quixote mit rotem Winkel. Mit einem heißen Herzen in einem Brustkorb aus Eis kann man jeden Text sprechen.«
»Du vergisst den Kopf, Bursche!«
»Mit dem Kopf redet man nur«, sagte Fraul laut. Der Spaniel, der uns entgegenkam, bellte und knurrte erschrocken zu Karl hinauf.
»Der Kopf ist dazu da, dass du deinen Vater einmal von dir losbinden kannst«, sagte ich.
»Ich merk schon, Paul, du willst mich auf eine Couch schubsen.«
»Ich? Bewahre.«
Schweigend marschierten wir weiter. Als wir unter der Tangente durchgingen, legte ich meinen Arm auf seine Schulter.
»Das Verzwickte ist, dass du ohne deine Vaternummer kein Schauspieler geworden wärst. Oder nicht so einer. Jetzt bist du aber schon der, der du bist. Du brauchst die Nummer nicht mehr. Im Gegenteil. Jetzt hast du den Salat, siehe Ruben.«
»Woher weißt du das?«
»Weil ich von mir red«, sagte ich grob, und
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