Der Kalte
hoch, dem Hansl irgendwie zu helfen, wo der jetzt derart in der Schlamastik war. Er entsann sich des Abends im Oswald & Kalb, nachdem er einen Wichtigtuer in der Regierung Marits kennengelernt hatte, konnte sich an dessen Namen aber nicht erinnern. Eigentlich empfand er noch immer einen Rochus auf Wais, weil der offensichtlich, seit er aufgestiegen war, keinen Wert mehr auf den Kontakt zu ihm legte. Aber nun tat der Hansl ihm leid.
Nekula saß im Café Rathaus und las Zeitungen. Später musste er auf ein Sprüngerl im Büro vorbeischauen, eine Expertise seines jungen Kompagnon abzeichnen. Anschließend wollte er mit seiner Frau zu seiner Tochter nach Pöchlarn hinausfahren, den zweijährigen Enkel in die Luft werfen und gemütlich zu Mittag speisen, dabei auf die Donau schauen, die laut Schwiegersohn stets im Frühjahr auf eine frische und unschuldige Weise an Pöchlarn vorbeifließt.
Die Zeitungen waren voll von der gestrigen Pressekonferenz des Nazijägers David Lebensart, der seine Zweifel an der Aufrichtigkeit des Bundespräsidenten äußerte. Bislang hatte Lebensart, der keinerlei Sympathie für die Sozialisten hegte, Johann Wais in Schutz genommen, und das war nicht wenig, genoss Lebensart doch große Reputation in der Welt.
»Man kann nicht ein Drittel einer Bevölkerung deportie
ren, und einer sitzt daneben und merkts nicht. Ich bin persönlich sehr enttäuscht von Doktor Wais«, wurde Lebensart zitiert. Peter Nekula durchfuhr es siedendheiß. Seine Hände, die den Ausblick gehalten hatten, begannen zu zittern, er warf die Zeitung auf den Sitz gegenüber, nestelte sein Taschentuch hervor und begann sich über die Stirn zu wischen. Bekomme ich jetzt einen Herzinfarkt, dachte er, griff wieder zur Zeitung und las den Artikel nochmals. Im Signal, das er sich vom Ober bringen ließ, war Wais zum achten Mal Titelgeschichte. Ein gewisser Apolloner schrieb über Thessaloniki. Der Artikel enthielt Skizzen, mit denen Deportationsort und Wohnsitz des kleinen 1c Wais in Bezug gesetzt wurden. Nekula suchte in allen Artikeln den Zeitraum, von dem die Rede war. Er stand auf, zahlte, ging in sein Büro und versuchte von dort seinen Schulkollegen telefonisch zu erreichen.
Marianne erschien bei Wais und Beran und teilte ihrem Chef mit, ein gewisser Nekula, der behauptete, ein Schulkollege zu sein, riefe zum fünften Mal an, es sei grandios wichtig, wie er sagte, was solle sie jetzt machen?
Wais runzelte die Stirn. »Ah, der Petz Nekula. Soll die Nummer hinterlassen, ich rufe zurück.«
Marianne nickte und verschwand.
Beran, der ihr nachgesehen hatte, wandte sich wieder dem Präsidenten zu.
»Das mit Saloniki kommt immer wieder. Vor einem Jahr hatten wir doch bereits diese veritable Krisis wegen der vor deiner Nase stattgehabten Deportationen. Ich weiß, du willst nicht lügen. Aber du musst.«
»Ich würde schon lügen wollen, aber ich kanns nicht.«
»Es muss sein. Auch in meiner Partei beginnts zu bröckeln. Es glaubt dir einfach niemand.«
»Ich glaube es mir selbst nicht, Gerhard.«
»Deshalb, im Namen der Staatsraison: Wir müssen eine Erklärung vorbereiten, in der du zur Darstellung bringst, du wärest vermutlich zur fraglichen Zeit auf Urlaub gewesen, hättest dich bis dato aber in der Jahreszeit geirrt gehabt, seist also doch Anfang März dreiundvierzig in Wien gewesen, hernach dort oder da, aber nicht in Saloniki.« Beran unterbrach sich. »Wir müssten es irgendwie beweisen.«
»Eben. Lass das. Das hat keinen Sinn. Wir drehen uns im Kreis.«
»Du drehst dich im Kreis«, sagte Beran ungehalten.
Wais schwieg. Marianne klopfte und erschien wieder. »Entschuldigen Sie, dieser Doktor Nekula lässt sich nicht abschütteln.«
»Stellen Sie durch.«
Beran sah in das bleiche Gesicht des Präsidenten, während der mit seinem Schulkollegen zu reden begann. Er wollte ins Nebenzimmer retirieren, aber Wais bat ihn mit einer Geste zu bleiben. Plötzlich sagte Wais gar nichts mehr, er hielt den Hörer derart mit der Hand umklammert, dass weiße Flecken um die Fingerknöchel entstanden.
Was wird das wieder werden?, dachte Beran. Dieser Wais ist wirklich unsere Landplage. Da haben wir einen Fehler gemacht, den wir jetzt ausbaden müssen. Der erste Bundespräsident seit neunzehnfünfundvierzig, der kein Roter ist, und dann sowas. Beran drehte sich vom Telefonierenden weg, ging zum Fenster und schaute zum Reiterdenkmal. Er fuhr zusammen, als Wais ihn auf die Schulter tippte. Er sah in dessen entgeistertes, aber
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