Der Kalte
Hauptallee gehen, neben ihm ein hagerer Mann, sie redeten. Ich wollte meinen Blick senken, bemerkte hinter einer Kastanie aber Karl Fraul. Eine Fraulerei? Geht Söhnchen Vati nach? Aber warum schaut Karl hinter der Kastanie hervor? Was für ein schlechter Film. Ich sagte der Frau Sabine, dass ich gleich wiederkäme, und eilte aus dem Lokal. Karl sah mich, kam auf mich zu.
»Servus, Apolloner«, sagte er und lächelte verlegen.
»Grüß dich«, antwortete ich. »Bist du hinter deinem Vater her?«
»Nein. Oder doch. Er ist mit einem Menschen zusammen, der mir seltsam vorkommt.«
»Kennst du alle seine Leute?«
»Er ist doch bloß mit den Kazetlern in Kontakt. Das aber ist keiner.«
»Sondern?«
»Das versuche ich herauszukriegen.«
»Warum fragst du deinen Vater nicht selbst?«
»Er hat ihn mir eh schon kurz vorgestellt, als wir uns zufällig getroffen haben. Er heißt Rosenmeier, aber das ist schon alles.«
»Latschst du jetzt weiter hinter ihm her?« Karl schüttelte den Kopf.
»Zu spät.« Er folgte mir in die Meierei und bestellte sich einen Tomatenjuice.
»Willst du mir helfen?«, fragte er und sah mich an.
»Wenn du mir nicht die Nase zerdrischst«, sagte ich. Er senkte den Blick. »Schieß los.«
Wir warteten, bis sein Saft kam.
Den ganzen Nachmittag verbrachten wir mit seinem Problem, nicht in die Rolle des Benjamin Ruben, Sohn eines Judenältesten in einem Ghetto in Ungarn, hineinzukommen. Er glaubte nun, er könne das erst dann schaffen, wenn er sich mit seinem Heldenvater auseinandergesetzt habe. Das wollte er aber nicht tun. Als eine Art Kompromiss rannte er nun hinter ihm her, als könnte er aus der Choreographie der Spaziergänge und aus dem Aussehen etwaiger Leute, die Edmund Fraul traf, auf den verborgenen Teil seines Charakters kommen. Ich kannte dessen Bücher besser als Karl, der kein einziges gelesen hatte. Der mochte sie auch nicht lesen, weil er bei den wenigen Versuchen, es zu tun, Ekelanfälle bekommen hatte.
»Dein Vater ist einzigartig«, musste ich ihm sagen. »Das Feuer der Aufklärung lodert in einer durch den Hitlerismus geschundenen Seele.«
»Er war Kommunist, kein Aufklärer«, sagte Karl verdrossen und hatte wieder seine hämische Visage aufgesetzt.
»Du mit deiner hämischen Visage«, sagte ich. »Muss ich dir extra auseinandersetzen, dass die Kommunisten sich als die Superaufklärer sahen, weil sie nicht nur die Welt erklären, sondern auch verändern wollten?«
»Ja, ja«, sagte er.
»Du bist ein Nullerl gegen ihn. Wir alle sind Nullerln gegen die, welche Widerstand geleistet haben. Womöglich sollte dein Benjamin Ruben deswegen ein Superheld sein wollen gegen seinen feigen Nullerlvater, der bloß Ja und Amen zu den Nazis sagt und vorgibt, damit das Schlimmste verhüten zu können.«
»Natürlich sind wir Nullerln gegen die«, sagte Fraul laut. Frau Sabine schaute zu uns her. »Gott sei Dank«, brüllte er.
»Pscht«, machte ich. »Jede Zeit hat die Helden, die sie verdient. Es ist auch nicht leicht, ein Nullerl zu sein. Oder?«
»Mein Vater fordert Heldentum«, sagte Karl ruhig und über seinen Satz erstaunt. »Obwohl es keiner Helden bedarf.«
»Keiner solchen, wie er einer war.«
»Heute können wir die Helden bloß spielen. Das tu ich ja. Ist Hippolyt kein Held?«
»Hippolyt ist ein Wappler.«
»Ein Wappler ist er vielleicht auch. Ich glaube, mir dämmert was. Du hast mir sehr geholfen. Du bist ja genial.«
»Roll mich nicht«, sagte ich. »Ich hab ein Problem mit dem Nullerlei unserer Zeit.«
Doch Karl schien mir nicht mehr zuzuhören. Er sagte: »Möglich«, und verabschiedete sich.
Ich blätterte danach noch etwas in den Papieren.
Heimwärts ging ich mit schlechter Laune. Ich fühlte mich
zwischen allen Stühlen. Mit einem Mollgefühl dachte ich an Judith, an den Schimmer auf ihrer Halspartie.
Ich bog zum Pick Up ab.
Paul Hirschfeld stand vor der zweiten Bar mit seiner anscheinend derzeit Festen. Ich stellte mich dazu.
»Das ist Karin aus Hamburg«, sagte Hirschfeld. »Und das ist mein Freund Apolloner.«
»Aus Bozen«, sagte ich.
»Bozen«, sagte Karin. »Schön.«
33.
Gerhart Mauss saß neben seinem Sohn Gernot in dessen Auto. Sie kamen von Klagenfurt, wo sie im Hinterzimmer eines alten Gasthofs eine Sitzung mit Toplitzer hatten. Der Wirt hatte an diesem Tag einen Ruhetag ausgeschildert. Jupp Toplitzer erläuterte den beiden Mäusen, wie er sich hinkünftig die Ausrichtung der Feierlichkeiten auf dem Ulrichsberg vorstellte. Seit
Weitere Kostenlose Bücher