Der Kalte
beim Tischerl neben dem großen Schreibtisch. Als die Kampagne gegen seinen Präsidenten richtig aufzukochen begann, hatte Novacek das Tischerl unter dem schweigenden Missfallen von Johann Wais aufgestellt, um »immer und drei Tage« präsent zu sein und alle Angriffe sofort medial abschmettern zu können. Er ordnete Papiere, sprach leise in den Rücken von Wais, ohne auf dessen Reaktionen zu achten.
Walter Weber klopfte an, trat sofort ein und eilte auf Wais zu.
»Die von dir gewünschte Historikerkommission ist zu einem von dir gewünschten Ergebnis gekommen«, verkündete er.
»So?«, machte Wais, wandte den Blick vom Reiterdenkmal ab und sah Weber bekümmert ins Gesicht. Er hatte diese Kommission, bestückt auch mit ausländischen Geschichts
experten, einsetzen lassen, damit sich seine Verwicklung in die Geschehnisse des Holocaust in Nichts auflösen mochte.
»Es ist ein Sieg«, sagte Weber und hob sein Kinn. »Natürlich, du hast von den Vorgängen mehr gewusst als bislang kommuniziert, aber ausdrücklichst: Mitwissen ist keine Mittäterschaft. Dein Vorgänger wird das Ergebnis der Kommission schon heute im Fernsehen verlesen.«
»Kein Sieg.«
»Bedenke: Maxmann nannte dich Bestandteil von Hitlers Tötungsmaschine. Übrig bleibt: du hast von Massakern, von Deportationen nur munkeln gehört.«
»Walter«, rief Novacek vom Tischerl herüber, »rede nicht alles klein! Die neueste Kampain hat die Anwesenheit von Johann in Saloniki während der Judendeportationen in den Mittelpunkt gestellt.«
Novacek erhob sich und ging zu Wais ans Fenster. »Dies war und ist in der Tat ein Problem. Auch die Gutwilligen, auch unsere Freunde können dir nicht abnehmen, dass du nicht bemerkt hast, dass praktisch ein Drittel der Bevölkerung aus der Stadt wegverbracht worden ist.«
»Ich habe meine Diss geschrieben. Zum hundertsten Mal, ich habe nichts bemerkt, nichts. Nichts.«
»Ich glaubs dir«, sagte Weber. »Es war der große Hügel dazwischen. Die Armleuchter draußen tun so, als hättest du vom Fenster auf den Umschlagplatz schauen können, als hättest du der Verladung der Juden beiwohnen können. Wir weisen das zurück. Basta.«
»Halte ich für ganz schlecht, Walter. Lebensart wird heute der Presse mitteilen, dass er solches nicht glauben kann. Das müsstest du bemerkt haben, Johann. Damit lässt er dich praktisch fallen.«
»Ich habs nicht bemerkt.« Wais wandte den beiden den
Rücken zu, sah mit trübem Blick zum Burgtor, durch das ein Fiaker mit zwei prächtigen Schimmeln hereinfuhr. Der Präsident löste seinen Blick, schritt hinter seinen Schreibtisch, glitt auf den Stuhl.
»Ich war damals in Saloniki so vertieft in die Arbeit. Ich war frisch verlobt, ihr wisst das doch alles. Wir reden immer wieder dasselbe. Dadurch wirds aber nicht anders. Es war, wie es war.«
Adrian Novacek wartete ungeduldig, bis Wais das sattsam Bekannte wieder einmal ausgesprochen hatte. Er räusperte sich.
»Wir machen es so, schlage ich vor: Du erklärst, dir sei nun eingefallen, dass der Löhrsekretär routinemäßig von den Aktionen gegen die jüdische Bevölkerung berichtet hatte, du dem aber, weil es absolut nicht in deinen Bereich fiel, keine Aufmerksamkeit geschenkt hattest, und deswegen sei dir dieses tragische Detail entgangen.«
»Kein Detail, Adrian. Man muss damit leben, dass ich diese tragischen Vorfälle nicht bemerkt und daher auch nicht vermerkt hatte. Zum tausendsten Mal.«
»Dabei bleibts«, sagte Weber, »und Scheinotter gibt dir freundliches Begleitfeuer.«
»Auf das möchte ich verzichten.«
»In dieser Sache«, beeilte sich Novacek zu sagen, »können wir auf keinen einzigen Helfer verzichten.«
Wais legte seine Handflächen auf die Schreibtischplatte, als wolle er sich erheben. »Noch etwas.« Er lehnte sich zurück, schloss die Augen. »Ach nichts. Danke.«
Als die beiden gegangen waren, griff Wais zum Hörer.
»Verbinden Sie mich mit Beran.« Er legte auf. Nach einer Minute meldete seine Sekretärin:
»Der Herr Außenminister ist unterwegs. Er ruft so bald als möglich zurück.«
»Danke, Marianne.« Wais nickte und ging wieder zum Fenster.
Wieso habe ich so viel nicht bemerkt, dachte er. Aglaja, wir waren doch nur glücklich in jener schrecklichen Zeit. Er lauschte in sich hinein. Er schluckte. Berans Rückruf kam prompt.
Seit geraumer Zeit verfolgte Peter Nekula die Angriffe, die sich gegen seinen Schulfreund, den jetzigen Präsidenten, mehr und mehr verstärkten. In ihm kam der Gedanke
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