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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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neunzehnachtundfünfzig wird dort auf einer Wiese neben einem Kreuz der Opfer beider Weltkriege und des Kärntner Abwehrkampfes gedacht. Toplitzer gab die Richtung für das Treffen im nächsten Jahr vor: »In jener aufregenden und anregenden Zeit standen Menschen für ihre Überzeugung ein. Es kann nicht sein, dass aus den Gesichtern dieser charakterstarken Kameraden ein Verbrecheralbum gemacht wird. Ihre Leistungen dürfen nicht mit Füßen getreten werden, sie reihen sich ein in eine lange Kette heimatbewusster Kämpfe, deren historisch wichtigster der Abwehrkampf neunzehnhundertzwanzig gegen die Annexionsgelüste Jugoslawiens war. Ihre Taten in der Systemzeit basierten auf den edelsten Motiven und wurden von der unverbrüchlichen Liebe zum eigenen
Volkstum gespeist. In der großdeutschen Zeit sind manche der Motive allerdings auch missbraucht worden.«
    »Wie meinst du das?«, fragte Gerhart Mauss.
    »Wie ich es sage. Scherz beiseite. Du weißt selbst besser als ich, dass wir uns die Berufsantifaschisten nicht vom Leib halten können, wenn wir in die Nähe der Verteidigung des Judenmords oder gar der Verleugnung geraten. Die Ansichten mancher Kameraden in Ehren, aber alles wollen wir doch nicht inserieren.«
    »Das ist keine Distanzierung, Vater«, sagte Gernot.
    »Immer diese Diplomaterei«, brummte der alte Mauss. »Jupp, du schielst mir schon sehr auf liberale und sozialdemokratische Kräfte.«
    »Muss ich wohl. Will ich auch. Unsere Sach braucht Zulauf von überall her. Schau dir den Alten an, woher der seine Wähler zusammengesammelt hatte.«
    Der alte Mauss holte Atem. Toplitzer gebot ihm Einhalt.
    »Ich weiß, dass er ist, was er ist. Man kann auch von denen lernen.«
    »Vater, vertrau dem Jupp«, sagte Gernot.
    Als sie an Mürzzuschlag vorbeifuhren, wiederholte der alte Mauss den Satz seines Sohnes und fuhr fort:
    »Weißt du, Gernot, der Jupp ist ein bisschen ein Spieler. Man muss achtgeben bei ihm. Er verschafft uns einerseits Geltung, gibt uns die Ehre zurück und regelt auch unser Fortkommen, andrerseits will er von allen geliebt werden, also auch von Kohn und Krethi. Jaja, anders wird die Partei nicht wachsen, aber unsere Grundsätze …«
    »Auch wir achten darauf, wir sind eingeschworen auf sie.« 
    »Gernot, dass auf dich Verlass ist, weiß ich.«
    »Es sind viele Windhunde um Jupp herum. Ich muss …«
    »Ja, du musst deinen Einfluss stärken. Meine Bedenken sollen dir als Wegmarke dienen.«
    »Das tun sie. Ah, Semmering.«
    Gerhart Mauss schaute ab Spital aus dem Auto, deutete links und rechts hinaus.
    »Überall waren sie, die Hebräer. Das hat ihnen gehört. Das da. Das auch.« Er schwieg, schloss die Augen.
    »Nachher waren die Russen hier, Vater, und haben dafür gesorgt, dass die Übriggebliebenen sich hier wieder breitgemacht haben.«
    »Sie machen sich überall wieder breit.«
    »Dabei gibts eh Israel.«
    »Einbahnstraße nach Jerusalem. Das ginge heute eigentlich ohne Gewalt«, sagte der alte Mauss und lächelte. »Ich finde übrigens die Araberfreundlichkeit etlicher Kameraden dumm. Wenn wir die Juden loswerden wollen, sollten wir die Zionisten unterstützen. Das hat damals schon Adi Eichmann erkannt.«
    Gernot sagte dazu nichts. Also mit dem, dachte er, kann man nun wirklich nicht mehr punkten.
    »Wo wohnt der Egger-toni denn jetzt?«
    Der alte Mauss holte einen Zettel aus dem Sakko.
    »Zuerst fahren wir ins Café Westbahn. Um halb fünf fahr ich in die Malfattigasse in Meidling. Er wird dort nicht mehr lange bleiben.«
    »Doch nach Bariloche?«
    »Seine Frau hat es satt. Sie kann die Frauls, Braunschweigers, Lebensart und die ganze Rachebagage nicht mehr aushalten. Ihr Bruder ist längst dort. Aber der Toni hängt halt an der Heimat.«
    Im Café Westbahn trafen sie ihre Leute, besprachen Anstehendes. Gernot verlas eine Grußbotschaft von »unserem Jupp«. Nach einer Stunde bestellte der alte Mauss ein Taxi und fuhr in die Malfattigasse.
     
    Edmund Fraul hielt es nicht daheim. Häufiger als früher verließ er die Wohnung. Wenn er zu Hause blieb, Radio hörte oder still und in Gedanken vergraben neben Rosa im Lehnstuhl kauerte, begann es in ihm zu krampfen, als sei eine Feder im Gekröse und Zwerchfell sowie hinter dem Brustbein verankert und spannte sich zum Äußersten. Bisweilen sah er seiner lesenden Frau zu, als könnten sich in ihrem Antlitz ihre Gedanken reproduzieren und in ihn fahren. Sollte er sich dies wünschen? Nach einem Lidschlag kam es ihm so vor, als sei Rosa

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