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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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von den Sympathien des Künschtlers Krieglach für seinen Genossen Stalin, heute aber wird sie das nicht hinnehmen. Es ist nämlich gar kein Unterschied zwischen Faschismus und Stalinismus auszumachen. War beim Stalin der Kapitalist der Klassenfeind, wars beim Hitler der Jude. Beide Monster haben Millionen Menschen auf dem Gewissen.
    Wer also gegen Hitler und seine Nazis gewesen ist, der musste als denkender Mensch Stalin gradso ablehnen. Und daher braucht er sich auch kein Antifaschistendenkmal ge
fallen lassen, das ausgerechnet ein Stalinist geschaffen hat. Deswegen hat sich eine breite Front der Ablehnung gegen die Errichtung eines solchen Machwerks an einem der schönsten Plätze Wiens gebildet. Prompt reagierte unser Freund Krieglach mit einer für ihn kennzeichnenden Rabiatheit und schloss seinen Protestbrief an Minister Gall mit der Formel: ›Mit Reichskulturkammergruß.‹
    Reich kann Herbert Krieglach in der von ihm gehassten kapitalistischen Welt noch werden – fein gewiss nicht mehr, meint Ihr Kampl.«
     
    Im Zentralorgan der Volkspartei betonte man, dass der Denkmalbauer auch der Schöpfer des Holzpferdes gegen unseren Bundespräsidenten Johann Wais sei. Durch dieses Pferd werde Doktor Wais unentwegt diffamiert. Wo der Bundespräsident auftrete und seine Pflicht als Staatsoberhaupt getreulich wahrnehme, stünde auch schon das Holzpferd da. Und das werde ausgerechnet jenem Bundespräsidenten angetan, dem einer der wenigen autorisierten Nazigegner, nämlich der jüdische Mitbürger Tuvia Dorfmann, Schuldlosigkeit und Integrität bescheinigt. Bundeskanzler Habitzl sollte seine Zuschauerloge verlassen und klare, versöhnende und einigende Worte sprechen. Dann könne auch das Denkmal ein Mahnmal nicht nur für gestern, sondern auch für heute und morgen werden. Wo immer es stünde.
     
    Edmund hatte sich alles hergerichtet, was er für die Wanderung am nächsten Tag benötigte. Rosa sah ihm dabei zu, wollte ihn fragen, warum er so früh im Jahr zu einer Bergwanderung aufbrechen musste, ließ es bleiben und schwieg. Sie wollte nach dem Abendessen das Konzert in Österreich 1 hören, er hatte nichts dagegen, nahm den neu
esten Mahnruf zur Hand. Aus dem Radio erscholl ein Chor. Rosa saß aufgerichtet in ihrem Stuhl und hatte ihr Antlitz dem Apparat zugewandt.
    Edmund räusperte sich, sah von der Zeitschrift hoch.
    »Was singen die da? Und alles Fleisch, es ist wie Rauch?« Sein Gesicht war blass geworden, er überlegte, ob er aufstehen und das Radio abdrehen sollte. Rosa sah erschrocken zu ihm hin.
    »Sie singen: Und alles Fleisch, es ist wie Gras.«
    »Wie Gas? Woher wissen die das? Was ist das überhaupt, wer singt was?«
    »Edmund! Brahms, Deutsches Requiem. Sie singen, hör doch.«
    Rosa bewegte die Lippen zum Chorgesang: »… und alles Fleisch, es ist wie Gras und alle Herrlichkeit des Menschen …«
    »Achso.«
    Fraul nahm die Lektüre des Mahnruf wieder auf.
    »Ich dreh besser ab«, sagte Rosa.
    »Wieso denn. Hör weiter. Es ist doch schön.«
    Rosa drehte das Radio ab, holte das Buch vom Fensterbrett.
    Morgens verließ Fraul die Wohnung zeitig, fuhr zum Südbahnhof und von dort mit dem Zug nach Hirschwang. Er bestieg die Gondel und fuhr die Rax hinauf. Er hatte vor, übers Plateau zu gehen, beim Karl Ludwig Haus zum Preiner Gscheid abzusteigen. Von der Bergstation zog er los, er hatte Skistöcke mitgenommen, die er nun beim schneebedeckten Weg zum Ottohaus gebrauchen konnte. Das Wetter war mild, der Wind war nicht mehr eisig, sondern massierte angenehm Frauls Gesicht. Als er das Ottohaus sah, blieb er stehen, setzte sich auf einen Stein.
    Die Rax hat immer noch so viel Friedliches, dachte er. Auf
ihr lebend, in ihren Hütten verborgen, könnte die Menschheit überdauern. Nicht nur die Schutzbündler damals. Auch der Ferdl, bevor er nach Spanien ging: hier auf der Rax. Nach dem Feber. Und der Ressel hatte den Egger dahier erkannt und ist sofort vor Aufregung gestorben. War das hier oder im Ludwighaus?
    Jaja. Überall waren sie, die Nazis, und sind sie. Selbst auf der Rax ist man nicht sicher vor ihnen. Der Schädelknacker rennt frei herum, der Ressel liegt unter der Erde.
    Im Ottohaus aß Fraul zu Mittag, er sah zum Schneeberg hinüber.
    Nachdem er aufgegessen hatte, brach er auf. Er ging auf dem Plateau vorbei an der Neuen Seehütte und steil hinauf zum Trinksteinsattel, um hernach über die Almwiesen zum Habsburghaus zu gelangen. Während er dahinschritt, grieselte sich der Himmel ein, Flocken

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