Der Kalte
nun rot angelaufenes Gesicht.
»Gerhard«, flüsterte Wais, »das war mein alter Schulkollege …«
»Nekula«, ergänzte Beran.
»Peter Nekula, mit dem ich, wie ich soeben von ihm erfahren habe, von Ende Februar bis Juni in Tirana und danach bis Oktober in Priština stationiert war. In Saloniki war ich davor, von dort wurde ich nach Tirana abkommandiert, und dort war ich mit Nekula zusammen. Ich …«
»Soll das heißen, wir werden die ganze Zeit von dir wegen der Israeliten aus Saloniki gequält, deren Abtransport du gar nicht bemerkt haben konntest, weil …«
»Weil ich nicht dorten war, jawoll, jawoll. Ja.«
Das rot angelaufene Gesicht von Johann Wais begann sich zu öffnen, er hurtelte hinter seinen Schreibtisch, setzte sich und lächelte.
»Solltest du den Nekula nicht gleich herholen«, sagte Beran und sah auf die Uhr.
»Petz will nicht. Ich soll zu ihm kommen. Jetzt gleich.«
Der Außenminister verabschiedete sich, fuhr kopfschüttelnd in sein Ministerium und unterrichtete von dort die Parteispitze. Er überlegte, ob er Habitzl ins Benehmen setzen sollte, unterließ es aber. Soll er es aus der Zeitung erfahren, dachte er.
Wais begab sich mit einer Mindestentourage zu Peter Nekula. Der empfing ihn mit einer Umarmung.
32.
Astrid von Gehlen lag daheim in ihrer neuen Wohnung auf dem Sofa, ein feuchtes Tuch auf der Stirn. Sie fühlte sich, als hätte ihr eine riesenhafte Pranke schallende Ohrfeigen verpasst, begleitet von Zungenschnalzen und Hohngelächter. Sie hatte dem Schönn die Esther hingeschmissen und damit nicht nur ihn, sondern auch Nemecsek brüskiert. Sie er
wog, den Vertrag mit der Burg zu lösen und nach Deutschland zu gehen. Sie könnte frei arbeiten, ob Thalia Hamburg, Schaubühne Berlin, noch konnte sie es sich aussuchen. Was ist denn dabei, wenn Karl Fraul sich die junge Dronte nimmt, außer dass ein Mann wieder einmal nimmt und nimmt. Im Grunde gehts mir wie der vermaledeiten Margit, dachte Astrid, erhob sich, ging ins Bad, befeuchtete das Tuch wieder mit kaltem Wasser, wrang es aus, legte sich wieder hin und tat es erneut auf die Stirn. Ich sehe mir zu, wie ich aufsteh, mir Lappen von der Stirn nehm und auf die Stirn tu, ich seh mich, wie ich da in dem Sofa hänge mit meinem verquollenen Gesicht und mir den Hintern breitsitze, obwohl ich ohnedies … ich sehe mich daliegen, eine Weggeworfene. Mein schwuler Felix, Vater eines Töchterchens, Göttergatte einer ehrgeizigen Kulturklatschjournalistin, die nun von ihm alle Unerquicklichkeiten meines Lebens erfahren wird, oh du Scheiße.
Astrid überlegte, ob sie zu ihrer Schwester flüchten sollte, die im Fränkischen in Marloffstein ein hübsches Anwesen hatte und mit Tilmännchen und den zwei Kinderchen Petra und Daniela friedvoll dem Lebensabend entgegensummte. Meine Schwester Karolin, die Frohnatur, die mich selbstredend bewundert und ehrfürchtig alle Kritiken sammelt. Bei Karolin kann ich mich ausschütten, und ich muss mich ausschütten, nein, ich muss mich sogar auskotzen.
Sie erhob sich, trat auf den Balkon, sah zum Rathaus, sah auf die Grillparzerstraße hinunter, und erblickte Vesely unter seinem Hut.
»Moritz«, schrie sie hinunter. Vesely ging weiter. »Moritzl, Meister Moische«, schrie sie. Vesely blieb stehen, drehte sich im Kreis. »Da bin ich. Hier oben.« Vesely legte seinen Kopf in den Nacken und kroch mit seinen Augen die Fassade hoch. Dabei fiel sein Hut zu Boden. Als er sie sah,
wollte er mit dem Hut winken, hob ihn auf und machte einen großen Diener.
»Kaffee?«, rief sie.
Vesely schaute auf seine Armbanduhr, zeigte auf sie und ging nach neuerlichem Hutziehen weiter.
Astrid blieb auf dem Balkon stehen. Ein später Märzwind fuhr ihr sanft ins Haar. Sie fasste das Balkongeländer mit beiden Händen an. So stand sie da und weinte.
Ich wollte mich mit Felix und Judith Dauendin treffen. Sie schlugen mir die Meierei im Prater vor, sie wollten mein Töchterchen Romana mitbringen. Als ich dort war, kam prompt ein Absageanruf von Judith. Fé würde dauernd husten, ein ander Mal. Fé!
Ich nahm aus meiner Aktentasche das Dossier Krieglach heraus, das ich mir zusammengestellt hatte, begann, indes draußen schon einige tapfere Gäste in der mäßig warmen Sonne saßen, darin zu blättern und mit dem Grünmarker Stellen anzustreichen, wichtigere mit dem Rotmarker, der mir aber ausgetrocknet war. Frau Sabine brachte mir einen Kaffee nach dem anderen. Durchs Fenster sah ich den alten Fraul über die
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