Der Kalte
Augenblick hinauszögern, an dem sie das Haus wieder verlassen musste.
»Willst du nachher noch zum Bühnentürl, ein Autogramm vom Höppner«, fragte Stefan leise, sodass Margit den leichten Spott überhören konnte.
»Danke, dass du mitgekommen bist«, sagte sie und fuhr ihm über die Locken. »Mozart?« Er nickte. Also gingen sie dorthin noch einen Happen essen. Dann brachte sie ihn heim. Nachts schlief sie tief und traumlos.
(Aus dem Tagebuch des jungen Keyntz)
27. 11. 1985
Vater hatte einmal gesagt, die Oper ist ein einziges Gefühlskraftwerk. Jedenfalls bin ich mit Schwesterchen in der Loge gesessen, ich in der Einserpanier, sie aufgedonnert und hat auch die Blicke der Männer auf sich gezogen, wie sie es gern hat. Gestern Abend war sie aber sowas von blind für das. Dieser Gschaftlhuber von Kammerlander hat uns umschwänzelt, Handkuss noch dazu auf ihre Fingerspitzen, affig. Bevor die Vorstellung begonnen hat, ist der Präsidentschaftskandidat der Schwarzen in der Mittelloge erschienen und hat so auf die Menschen geschaut, als sollten wir aufstehen und applaudieren. Dann hat sich der Kammerlander erbötig gemacht, dass wir zum Wais sollen, ihm Manderl machen als Kinder vom großen Keyntz.
»Das möchte ich nicht«, sagte meine Schwester.
»Selbstverständlich«, schleimte er als Antwort. Das fehlt noch, dass wir mit dem fotografiert werden. Endlich hats
angefangen. Ich kann mir nicht helfen, die Musik ist nicht schlecht. Gegen Ende wurde es richtig gut. Der Höppner imponierte mir. Sein Escamillo ganz schlank und schwarz pomadisiert. Kann mir schon vorstellen, dass die Carmen abfährt auf den. Vati war ja schon zu dick. Wie der Stiere töten hätte sollen. Aber Stimme hat er noch eine bessere gehabt als dieser Schönling.
Stella Cigorny ist ja eine Wucht als Carmen. Leider schaut sie ein bisschen aus wie die Dolly, mindestens solche Brüste, aber ein Kreuz auf dem Dekolleté. Grad als meiner steif wurde, lehnte sich Margit auf mich und schluchzte. Es war zwar lautlos, aber salzig. Die Arme. Das Beste ist, man bleibt im eigenen Bau und lässt die Katzen vorbeistreichen.
Vielleicht steh ich auch einmal da unten auf der Bühne und quetsche die Cigorny zu Boden, bevor ich ihr das Theatermesser in den Bauch drück. Jedenfalls möcht ich vorher nicht so ein Jämmerling sein wie Don José. Den kann ich gar nicht singen mit meinem Bariton. Wer weiß, wozu es gut ist. Nachdem es aus war, hat mich die Traurige ins Mozart ausgeführt; habe zwei Sachertorten verdrückt. Am Heimweg haben wir geschwiegen. Sie hat ihr Auto neben dem Anzengruber geparkt gehabt, ich dachte mir, hoffentlich sitzt der Karel jetzt nicht drin mit irgendwelchen Weibsen. Beim Haustor hat sie mich lange gedrückt, und dann ist sie mit hängenden Schultern zu ihrem Wagen gegangen, ohne auch nur einen Blick aufs Café zu werfen. Jetzt grad hab ich die Wie-wars-Fragen von Mutter abgewimmelt, bin in mein Zimmer gegangen, habe abgesperrt, mir die dralle Cigorny vorgestellt. Beim Abwischen ist mir eingefallen, dass morgen Lateinschularbeit ist.
Ich glaube, ich schleiche mich nochmals fort, geh ins Amarcord. Dann kann ich morgen krank sein.
22.
Roman Apolloner rief bei Judith Zischka an.
»Du bist doch so erpicht auf den neuen Macbeth, Judith. Du weißt, wer den King Duncan spielt?«
»Sicher«, antwortete Judith Zischka.
»Eben nicht. Der Schönn hat den Bonker überredet, es doch zu machen, obwohl dem nach dem Lear der Duncan jetzt zu schmächtig war.«
»Aha.«
»Wollte ich dir nur sagen. Der Fraul hatte sich doch mit dem Bonker ständig gestritten, er ist sogar weg nach Graz.«
»Aber doch nicht wegen Bonker. Außerdem ist das Jahre her.«
»Bonker und Fraul. Vater und Sohn. Der Altnazi und der Sohn des Lagerschreibers von Auschwitz.«
»Das ist eine Geschichte für dich, lieber Roman, nicht für mich. Aber danke, lieb von dir. Hast doch noch Sehnsucht nach der Kulturpisse?«
»I wo. Bonker landet um zwei. Machs gut.« Er legte auf, noch bevor Judith etwas dazu sagen konnte. Sie betrachtete den Hörer, während sie darüber nachzudenken begann, ob das jetzt wichtig war oder nicht. Oder interessiert sich der Apolloner neuerdings für mich, dachte Judith. Freundin hat er derzeit keine. Außer Zeitgeschichte macht er was? Sie ging ins andere Zimmer, suchte ihr Zeug zusammen, denn sie wollte noch bissl an ihrer Geschichte der Offtheater rumpitzeln. Sie setzte sich an den Schreibtisch und stellte sich den Roman vor, wie er Abend für
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