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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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Abend im Pick Up abbröselte. Untertags ruderte er in den Bibliotheken rum, ob auf der Uni, in der Nationalbibliothek, im Dokumentationsarchiv, beim Lebensart. Was tat er in der Nacht mit den ganzen Gestalten, die er aus den Akten herausgelesen
hatte? Sang er mit denen »Unsterbliche Opfer, ihr sanket dahin«? Und wieso glaubt er, dass mich das Verhältnis Fraul zu Bonker oder umgekehrt interessiert? Nachdem Judith auf die Uhr gesehen hatte, ist sie doch ins Auto gestiegen und zum Flughafen gefahren. Bonker kam prompt mit der Nachmittagsmaschine aus Berlin. Ob er weiß, wer ich bin, wenn ich ihn anrede, dachte sie sich.
    »Oho, das Fräulein Zischka«, sagte er lachend, nachdem er sie bemerkt hatte. »Sie kommen doch nicht meinetwegen?«, und er küsste ihr die Hand.
    Es gelang Judith mühelos, gleich am Abend noch einen Termin bei ihm zu bekommen, denn er begann am nächsten Morgen mit den Proben. Eigentlich war der Michalek fix für diese Rolle, wieso der Bonker es jetzt macht und wie der Schönn das dem Michalek beigebracht hat, müsste ich davor noch herauskriegen, dachte sie. Also rief sie den Scherfele an, bei dem sie seit kurzem einen Stein im Brett hatte, warum, das wusste sie.
    »Judith, Judith, du glaubst, da gibts was zum Stochern?«
    »Gibts was zum Stochern?«
    »Es gibt nix zum Stochern. Der Michalek kann nimmer. Er ist doch zu krank.«
    »Ja, aber der Bonker springt doch nicht ein, weil dem Michalek sein Parkinson schon …«
    »Wir haben es dem Karl-Heinz schon richtig verklickert.«
    »Wie denn?«
    »Nix, nix, Judith.«
    Bonker traf sie in der Lobby vom Ambassador. Sein Gesicht war noch rötlicher, der ganze Mann sah aus, als würde jeden Moment ein Schlaganfall drohen. Auch sein Atem ging schnell und mit Geräusch, dazu knabberte er an einer Havanna und nippte an einem Glas Glenfiddich. Dass er fünf
undsechzig war, sah man ihm nicht an, Judith gab ihm wenigstens Ende siebzig. Bonker schien ihre Gedanken erraten zu haben.
    »Bin ordentlich in Schuss, junge Frau. Bin wahnsinnig in Form.«
    »Freuen Sie sich, nach über einem Jahr wieder in Wien zu spielen? Nach Ihrem fulminanten Lear?«
    »Der war allerdings fulminant. Ich fand, so großartig war selten wer in dieser Rolle. Die hab ich mir auf eigene Art eingefleischt, ja, davon werden die Wiener noch zehren. Danach dachte ich, jetzt machste ein Päuschen. Aber am Wannsee rumsitzen und die Herzkrise auskurieren war nicht so ideal für mein Temperament. Ich verrecke lieber in Stiefeln auf den Dielen als im Lehnstuhl vorm Fenster mit Blick auf die Haselnuss. Also sagte ich zum Dietger, nach dem Lear kommt zwar nichts Ordentliches für mich, aber ich mach ihm auch was Kleines sensationell, wenn er sich das klarmachen kann. Er machte sich das rasch klar, und nun bin ich wieder in eurem Wien und freue mich kolossal.«
    »Was sagen Sie zum Fraul als Malcolm?«
    »Ich weiß schon, worauf Sie anspielen, Zischka. Olle Kamellen. Er hat sich ordentlich entwickelt. Und habe ich ihm damals nicht den richtigen Tipp gegeben? Ich weiß, ein Allerweltstipp, aber eben goldrichtig. Nun ist der Junge auf dem Weg nach oben. Freut mich doch. Ihr von den Zeitungen habt die Sache damals aufgebauscht. Sie selber hatten doch eine Rechnung mit ihm und ihn in Graz verrissen, oder?«
    »Nicht verrissen. Aber er hatte es wohl so aufgefasst gehabt.«
    »Wird schon so gewesen sein. Ihr Heinis glaubt noch, ihr habt ohnedies freundschaftlich kritisiert, mit Bussibussi,
wie im lieben Wien Usus, inzwischen habt ihr die Gaukler schon zu Frikassee verarbeitet, ihr Hundlinge. Mir kanns doch egal sein. Aber wenn Sie über den Fraul reden wollen, reden Sie mit ihm. Mit mir reden Sie gefälligst über mich.«
    Es wurde noch ein recht anregender Abend. Er trank etliche Gläser und begann sich in seine gloriose Jugend hineinzusprechen, als wäre der junge Fraul das Stichwort, um sich selbst in dieses Alter zurückzuphantasieren. Als Prinz von Homburg neunzehnzweiundvierzig in Berlin, darüber sprach er, als wäre gestern die Premierenfeier gewesen. Dabei überhitzte er sich, erlitt einen Schwächeanfall und musste auf sein Zimmer gebracht werden.
     
    Judith traf Apolloner noch im Pick Up, stellte sich zu ihm an die vordere Theke.
    »Na, Judith, was erfahren, was aufgemischt, eine Geschichte?« Er betrachtete ihre Halspartie. Sie sah aufmerksam in seine Augen.
    »Was ist da schon? Bonker ist ein alter und eitler Mann. Krank«, sagte sie leise.
    »Alt, führertreu und gottbegnadet«, erwiderte

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