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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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empfangen hatte, geworfen. Daher blieb dem Dünster der Mund offen stehen, und das passte. Dünster entwickelte im Zuspiel auf einmal eine Präsenz, die er eigentlich noch nie besessen hatte.
    Astrid war im Verlauf der Probe immer mehr an die Stuhlkante gerutscht, ihr Oberkörper nach vorn gebeugt, die Augen nahezu ohne Wimpernschlag auf die beiden Män
ner gerichtet. Scherfele beobachtete wie immer den Darsteller, der grade nicht redete, Schönn ließ keinen einzigen seiner ungeduldigen Schnaufer von sich, unterbrach nicht, las nicht im Regiebüchl, betrachtete auch seine Fingernägel nicht.
    Als die Szene zu Ende war, blieb es eine Weile still.
    »Ja«, sagte schließlich Schönn in dieses Schweigen hinein, »so ist es.«
    Als danach der soeben eingetroffene Felix Dauendin seinen ersten Monolog als Macbeth probierte, blieb Astrid von Gehlen auf ihrem Platz sitzen, auch Dünster und Fraul hörten zu. Dauendin konnte nichts vom Besonderen der vorherigen Szene wissen, dennoch wirkte er wie angesteckt. Eindringlich brachte er Macbeths Krakengedanken zum Ausgreifen. Doch Astrid nahm kaum ein Wort auf. Sie saß tief im Sessel hingeschmiegt, und das Echo von Karls Stimme umhüllte und umschmeichelte sie ganz.

20.
    (Aus dem Tagebuch des jungen Keyntz)
18. 11. 1985
    Jetzt hat sich die Dolly endgültig für den Tschurtschi entschieden. Die Aufschneider gewinnen immer bei den Weibern.
    Das Leben gfreut mich nicht. Dabei, es geht mir auf die Nerven, ständig im Bett zu liegen mit Kopfhörern, mich mit Depeche Mode niederdrücken zu lassen, »Some Great Reward«, obwohl, die haben was drauf. Wenn ich mir dann noch »People are People« reinziehe, könnt ich doppelt heulen. Scheißegal. Gelegentlich kommt Mutter in mein Zimmer. Ich schmeiße sie raus, sie kommt wieder, sieht
mich an, als würde sie gleich den Herzkasperl kriegen. Sie tut mir eh leid, aber was soll ich damit? Sie will mir helfen, ist fahrig und schaut auf mich und zugleich in sich hinein. Wahrscheinlich ist sie meistens bei Vati. Der hats hinter sich. Ich kann sie nicht aufheitern, denn zuerst müsste mich wer aufheitern. Scheiß mich an, wenn jetzt die Dolly hereinkommen tät.
    Hab schon wieder onaniert. Der Davidstern ist nur so auf dem Busen von der Dolly gehüpft. Ich zieh mir noch die ganze Energie aus den Knochen. Stefan, du Arsch, du Pantoffeltier, wieso kannst du die geile Dolly nicht vergessen?
    Na wart nur, Dolly, schönes Weib
    Du bist mir nur ein Zeitvertreib
    In Wirklichkeit bist eine Sau
    Nicht meine Frau, nicht meine Frau.
    Hirnrissiger Blödsinn.
     
    19. 11. 1985
    Margit rennt mit einem Gesicht herum, das man ständig abtrocknen möchte, oder man möchte sie kitzeln, damit sich in ihrem Gesicht was bewegt. Die ist jetzt wie ich, aber ärger, in Liebeskummer unterwegs. Ich habe eigentlich keinen Liebeskummer, ich hätte aber gern endlich eine Freundin, die mir nicht gleich fad wird. Die Helen tät sich schon was anfangen mit mir, aber die spricht immer so leise und schluckt bei jedem Wort zwei andere herunter. Die ist mühsam. Außerdem hat sie keinen Busen. Doch sie ist sehr sanft, und wenn ich mit ihr rede, dann lächelt sie immerzu. Würde sie so lieb auch dann lächeln, wenn ich reinrumse in sie?
    Meine Schwester war eben bei mir und hat mich gefragt, ob ich heute mit ihr in die Oper gehe. Carmen. Es gibt Schall
plattenaufnahmen von Vati als Escamillo. War eine sogenannte Paraderolle von ihm. Mama hat ihm immer gesagt, er soll den Stierkämpfer nicht zu oft singen, da ruiniert er sich die Stimme. Dann ist er aber als Ganzer gestorben, nicht nur seine Stimme; da hätte er, wenn er das gewusst hätte, noch viel öfter den Escamillo singen können. Ich habe zwar keine Lust, in die Oper zu gehen, aber meine Schwester ist so traurig, ich glaube, es tät sie freuen, wenn ich mitlatsche. Ich mag ja die Oper, das darf ich gar nicht laut sagen in der Klasse, ich bin sicher der Einzige, dem das Zeug gefällt. Ich bin eben der Sohn meines Vaters. Ich habe, sagt Mama, sogar eine ähnliche Stimme. Ja, singen kann ich schon, aber das macht bei der Dolly keinen Eindruck. Ich kann den Elvis besser nachsingen als er selbst, habe ich ihr gesagt und wollte es ihr beweisen. Sie hat mir zugehört, ich habe natürlich ohne Gitarre singen müssen. »In the Ghetto«. Dann hat sie geklatscht und ist von unserem Platz einfach fortgegangen. So ist das. Der Tschurtschi spielt ja schon Schlagzeug, nicht übel. Ich bin halt zu unentschlossen.
    Jetzt habe ich die Gitarre

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