Der Kalte
Scherfele schickte der Frage sein charakteristisches Gemecker hintennach, welches mich früher bei ihm regelmäßig aus der Stimmung warf. »Moment«, und ich hörte ihn blättern. »Eins sechs und eins sieben, also Duncan vor dem Schloss mit Bonker, von Gehlen, Gruber, und eins sieben, erst den Monolog vom Felix und dann den Mordplan mit Astrid zusammen. Ganz üppig. Hernach steht dir der Schönn exklusiv zur Verfügung, wir anderen natürlich auch.«
»Blöd«, sagte ich. »Ich tät den Fraul auch brauchen.«
»Was noch alles? Das ganze Ensemble, Gruppenfoto und dann ab in die Sauna?«
»Rüdiger! Du weißt doch, dass ich den Fraul forcieren muss. Allein war er schon, jetzt brauch ich ihn mit euch.«
»Er wird ohnehin da sein, wenn Astrid und der Dauendin proben. Da passt er auf, da schaut er besonders.«
»Von Dauendin kann man sich auch was abschauen.«
»Freilich, Judith. Mir ists wurscht, ob er da ist, darum musst schon du dich kümmern.«
Ich holte das Textbuch und las mir die Szenen durch. Jetzt hatte ich vergessen, Rüdiger zu fragen, ob der Fraul heute probiert. Aufs Geratewohl rief ich bei Karl an.
»Die Brunzbusche?«
»Ja«, sagte ich müde. »Wie gehts dir?«
»Zwei Frauen gehen, eine kommt oder tut so, als käme sie. Sodbrennen. Und dir?«
»Was soll das heißen?«
»Gar nichts. Was willst du?«
Ich sagte es ihm. Er versicherte mir, dass er Samstag bei den Proben dabei ist, außer seine Mutter stirbt gerade. Dann legte er auf. Ich fuhr in die Redaktion. Mittags war alles erledigt, wir standen noch bissl rum, denn die Gartner verabschiedete sich von uns im Guten, wie sie sagte, und blickte durch ihre dicken Brillen auf alle, ohne dass einer das Gefühl hatte, angeschaut worden zu sein. Sie übersiedelte nach Hamburg zum Echo, und wir durften merken, wie klein und provinzlerisch wir waren. Also hoben wir die Gläser, der Chef sagte was, wir nippten und gingen auseinander. Während der Zeremonie habe ich öfters zu Roman hingesehen.
»Bereust du die Einladung nach Südtirol«, fragte ich ihn, als wir den Verlag verließen und unser Esslokal ansteuerten.
»Es geht wirklich nicht«, sagte er. »Das hat nichts mit uns zu tun. Mein Vater hat grad wieder eine Phase, kurz, es passt nicht. Fahren wir ein andermal miteinander weg.«
Mit einem Mal hatte ich einen schlechten Geschmack im Mund. Dieser Feigling, dachte ich, da beugte er sich zu mir und wollte mich küssen. Wegen des Geschmacks drehte ich mich instinktiv weg, sodass sein Mund die Wange berührte.
»Mach keinen Stress«, murmelte er.
Das sagt er dauernd. Diese armen Männer. Wir aßen schweigend, ich ging danach heim und hatte genug von ihm.
Den kommenden Tag bereitete ich mich auf das Interview mit Schönn vor. Ich ging dazu in die Bibliothek, betrachtete die Fotos von früheren Inszenierungen, las etliche Interviews und begann mir sukzessive eine Vorstellung davon zu machen, was dieser Regisseur und Intendant fürs gegenwärtige Österreich bedeuten könnte. Darüber hätte ich gern noch mit Apolloner geredet, aber ich verkniffs mir. Wenn er zurückkommt von seinem Alkvater, kann ich immer noch mit ihm –. Soll er sich doch zum Teufel scheren. Gegen Abend wurde ich schwermütig und meine Laune verschlechterte sich von Minute zu Minute. Ich hielts nicht mehr aus, ich fuhr ins Pick Up. An der zweiten Bar stand Roman mit Emanuel Katz. Ich ging schnurstracks auf Emanuel zu.
»Ich weiß, ich stör schon wieder«, sagte ich mit Blick auf Apolloner, »doch kann ich mit dir reden, allein?«
Katz lächelte, sah Apolloner an.
»Klar«, sagte er. »Gleich?« Ich nickte. Wir gingen zu einem Nischentisch, ich drehte mich um und winkte dem Roman beiläufig zu. Der wandte sich ab, zahlte und ging. Nun fragte ich den Katz darüber aus, worüber ich eigentlich mit Roman reden wollte.
»Was der Schönn für Österreich bedeutet? Nicht viel. Vielleicht für Wien. Für Wien ist er ein bissl eine Provokation. Ein bissl«, sagte Katz langsam.
Nach einigen Anläufen kam dann doch ein richtiger Vortrag von ihm. Ich hörte zu, während meine Gedanken abwechselnd bei Roman, bei Karl und bei Dietger Schönn verweilten. Die Deutschen hätten neunzehnachtundsechzig entscheidend mit der Aufarbeitung der Nazivergangen
heit begonnen. Die legendäre Frage: »Vati, was hast du im Krieg gemacht?«, leitete die Debatte ein, und bis heute seien sie ziemlich weit gekommen damit. In Österreich schlafen sie alle hinterm Paravent der Lebenslüge vom ersten Opfer
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