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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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dürfen. Sowohl die eskamotierte nackte Frau als auch die wegwerfenden Bewegungen des dicklichen Zauberers, der aus der Ferne wie der Bruder seines neben ihm sitzenden Vaters aussah, hatte er nie vergessen, auch weil er eingeschmuggelt worden war, denn wegen der Nackerten durften Kinder gar nicht zuschauen. Schließlich ging er neben dem Studium beim großen Magier Bartholomäus Muck in die Lehre, wurde sein begab
tester Geselle. Dem späteren Bundeskanzler fiel er bei einem Landesparteitag der burgenländischen Sozialdemokraten auf. Er bestritt zusammen mit einem Kärntner Schlagersänger das begleitende bunte Programm und nahm mit seinen blitzschnellen wegwerfenden Bewegungen, mit seinen parodistischen Einlagen, den geistreichen Pointen über Land und Leute den damaligen Landesparteisekretär und späteren Unterrichtsminister für sich ein. Der holte Johannes als Berater ins Ministerium und nahm ihn mit, als er dem Alten als Bundeskanzler nachfolgte. Die sozialdemokratische Parteielite war von diesem Quereinsteiger und Günstling mäßig begeistert, und viele von ihnen entwickelten im Lauf der letzten Monate einen Grimm, der aus Neid und Sorge zusammengesetzt schien. Denn der Sonnyboy Tschonkovits genoss beim Chef Narrenfreiheit und verstopfte zugleich mit Vergnügen die Zugänge der Partei zum Kanzler. Man musste an ihm vorbei und konnte es nicht. Sie durften sich also bei ihm anstellen und um Termine betteln. Das behinderte sowohl die Sacharbeit als auch die eigenen Karrieren beträchtlich, aber beim Personalproblem Tschonkovits blieb der Bundeskanzler von aller Kritik unberührt, er vertraute seinem Magier, und basta. Die Gattin des Bundeskanzlers fand den Tschonkovits bestrickend, und so ward Johannes auch in die Familie aufgenommen und zauberte nicht nur am Ballhausplatz, sondern auch am Neufelder See. In den letzten Wochen war diesem Zauberer beträchtlich der Kamm geschwollen. Es kam vor, dass Minister und Staatssekretäre zusammenstanden und auf Tschonkovits warten mussten, weil der Regierungschef keine Besprechung ohne ihn abhielt. Also blieb vielen nichts anderes, als zu antichambrieren, den Kanzler lächerlich zu machen und ihm Kompetenz abzusprechen. Dieser aber war belesener, gebildeter als die Geg
ner in der Partei und von frappierender Offenheit, was seine eigenen Schwächen anging. Er tat nicht so, als wären die Probleme des Landes einfach zu lösen, bei Interviews zog er allzu häufig die Stirn in Falten und gab zu, noch keine Antwort gefunden zu haben. Die hatte Tschonkovits für ihn. Dem war es auch zu verdanken, dass die Auseinandersetzungen in der Stopfenreuther Au um das zu erbauende Kraftwerk nicht eskalierten. Der Bundeskanzler verordnete eine Nachdenkpause über Weihnachten neunzehnvierundachtzig, die Betonfraktion um einen hohen Gewerkschaftsfunktionär musste klein beigeben. Der Kanzler galt seitdem vielen als Weichei, und er machte hernach innerhalb und außerhalb der Sozialdemokraten eine gewisse Karriere als Witzfigur. Das alles kümmerte ihn nicht, er hatte sich nie um die Ämter gerissen, die er nun bekleiden musste, und er tat das auf seine Weise. Tatsächlich war der Einfluss von Tschonkovits nicht so groß, wie alle Welt dachte, aber von den Kämpfen, die Johannes mit dem Chef ausfocht, drang nichts nach außen.
     
    Nun aber ging er bedrückt in die Innenstadt, setzte sich bereits um halb sieben am Abend ins Oswald & Kalb an den Stammtisch und begann sich mit einem Maler zu unterhalten, der erst vor kurzem von einem langjährigen Aufenthalt auf den Philippinen zurückgekehrt war und von Tschonkovits dringend wissen wollte, was sich im Land tut. Dem klagte Johannes nun sein Leid, dabei aß er zu Abend und trank sich gemächlich zu.
    33.
    Mein Gespräch mit Bonker erschien im Signal rechtzeitig, es machte guten Wind für die Macbethproben. Füglich rief mich Scherfele an:
    »Du hast es wieder mal geschafft, Judith. Schönn hat auf Drängen von Karl-Heinz zugestimmt, unglaublich. Nicht einmal der Gartner war das je vergönnt. Übermorgen um zehn kannste kommen.«
    Ich sagte natürlich sofort zu, obwohl ich das kommende Wochenende mit Roman verplant hatte. Überraschend hatte er mich eingeladen, ihn nach Südtirol zu begleiten. Er absolvierte seinen Weihnachtsbesuch bei Eltern und Schwester samt seinen zwei Nichten schon jetzt, damit er zu Weihnachten seine Ruh hat und sich irgendwo in den Süden ans Meer schmeißen kann.
    »Welche Szenen sind dran?«
    »Willst du soufflieren?«

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